11 JANUARY 1935, Page 15

Aschinger

[Von Einem Deutschen Korrespondenten] DER Name Aschinger hat fiir den Berliner dieselbe Bedeutung wie der Name Lyons fur den Londoner. Beide and far den Menschen der Grosstadt der Inbegriff eines billigen, guten und schnellen Essens. Interessant ist, dass these beiden riesigen Speise-Konzerne das gleiche Alter haben ; sie sehen auf eine vierzigjahrige Vergangenheit zurtick. Sie sind also gegeniiber den siebzigjahrigen Duval-Bouillon-Restaurants von Paris verhaltnismassig jung.

Die Briider Karl und August Aschinger begannen mit ihrer ersten " Bierquelle " im Herzen Berlins, in der Neuen Rosstrasse 4. Sie waren im Gastwirts-Gewerbe als Koch und Kellner aufgewachsen und beide als Wiirtemberger besonders kaufmannisch begabt. So konnten sie ihren Gasten die bald weltberiihmt gewordene Terrine " Loffelerbsen mit Speck " fiir 30 Pfennige liefern, wozu man sich noch Briitchen nach Belieben gratis nehmen konnte.

Eine nette Anekdote schildert den patriarchalischen Betrieb der Vorkriegsjahre. August Aschinger bemerkte in der Bierquelle Friedrichstrasse einen Studenten, der sich zu einem Stehtisch begab, urn dort sich zu einem stehen gebliebenen Glas Bier zu stellen und auf Grund theses Bier-Restes aus dem Brotkorb ern Brotchen nach dem anderen aufzuessen zu beginnen. Vater Aschinger klopft dem jungen Mann freund- lich auf die Schulter und meint lachelnd: " Herr Doktor, wenn Sie wieder mal Bier trinken wollen, dann gehen Sie doch gleich Lieber zum Backer ! "

Inzwischen werden in den Zentralbetrieben durch zwei automatische Oefen bereits 28,000 Brotchen pro Stunde hergestellt, ern guter Beweis fiir den Appetit des Berliners. Dieser wird heute in 41 Bierquellen und Konditoreien, 23 Backereien, 6 Restaurants und 2 Imbiss-Stuben befriedigt. Das ist zwar gegeniiber den 250 Theestuben von J. Lyons & Co. in England nicht tiberwaltigend viel, scheint aber den Berlinern doch zu geniigen. Arbeiten bei Lyons rund 30,000 Menschen in den verschiedenen Betrieben, so kommt Aschinger mit dem zehnten Teil, mit 3,000 Arbeitern und Angestellten aus. Beide Gesellschaften haben ihren

Unter- nehmungen Hotels angegliedert, die " Cumberland, Regent Palace, Strand Palace " von Berlin heissen " Fiirstenhof, Grand-Hotel Knie, Palast-Hotel." In Berlin werden jcihrlich 3 Millionen Pfund Fleisch, 2 Mill. Eier, 1,5 Mill. Pfund Gemiise verbraucht, in London taglich 1*•Dill. Pakete Thee,

Mill. BrOtehen und bis zu 3 Millionen POrtionen Eiskreme. Diese fast astronomisch-gastrononaisehen Zahlen geben besser als Lange Bankausweise ern Bild von der Grosse dieser Unter- .

nehnumgen. Doch auch im Finanziellen erweist sich die Verschiedenartigkeit des Okonomischen Aufbaus. Aschingers Aktienkapital ergibt bei 3 Mill. Mark eine Dividende von 12 per cent. ; Lyons konnte mit einem Aktienkapital von 10 Mill. Pfd. Sterl. rund 1 Mill. Netto-Gewinn abwerfen. In beiden Firmen befindet sich die Mehrheit der Aktien in den Handen der Familien. Der Berliner Speise-Konzern arbeitet heute mit 40 Mill. Mark Fremdkapital, so dass die Firma grosse Zinsen-Sorgen hat. Dafiir ist die Kassenlage bci Lyons stets liquide.

Die Mehrzahl der Htmderttausende von Fremden, die im left-ten Jahre die Funkausstellung und die Schau " Deutsches Volk-Deutsche' Albeit " besuchton, (2,8 Millionen besuchten im Ganzen zehn Ausstellungen) werden wohl such Aschingers Bierquellen aufgesucht haben. Was ihnen dort am meisten auffiel, war der Mangel an Wirtshausnamen, wie sie diese von ihrer Heimat her gewohnt sind. Die " Blanc Hand " von Nurnberg, der " Griine Kranz " von Koln, der " Heilige Christoph " von Erfurt, der " Riese " von Miltenberg, das " Wappen von England " in Oldenburg, der " Bremer Schliissel " von Hamburg, der " Stachel " von Wiirzburg, der " KOnig von England " in Augsburg kennzeichnen eine .heimattreue und bodenstandige Eigenart, gegen welche die niichteme " Aschingers 19. Bierquelle " nicht ankommt. Aber nicht der Wirtshaus-Name ist fur den Hungrigen das Wesentliche, sondern der Wirtshaus-Inhalt, und der ist sogar filr den verwohnten Provinzler bei Aschinger durchaus zufriedenstellend.

Von der. mittelalterlichen Wirtshaus-Romantik zu den weissbeschUrzten. Aschingerkellnern ist der Weg dennoeh nicht weiter 93s von Shakespeares " Inns " zu den schmucken