11 NOVEMBER 1938, Page 22

MEISTER BARLACI-I

[Von einem deutichen Korrespondenten] .ER war ein Meister, der Meister. • Schon seine iiussere Gestalt und Erscheinung war vollig zeitlos. Vielleicht nur ver- gleichbar jenen grossen anonymen Kiinstlern, welche die Gotik geschafren haben. Sein ganzes Werk, dieses gross,

herrliche, eininalige Werk, es ragt wie ein erratischer Block aus unserer Zeit heraus, erhebt sich aus den Fltichen und Niederungen der Gegenwart hoch empor in einea geheim- nisvollen Raum, Heimat, Himmel mid Mille zugleich.

Ernst Barlach, der eben an des Grenze des biblischen Alters dahingegangene, war der grosste Bilelhauer Deutschlands.

Er war auch sein grosster Bilddichter, ether, der in Bildern traumte, schaute und dichtete. In den hundert Gestalten seines Werkes, aus dem Holz geschnitten und in das Holz geschnitten, verkorperte sich der Geist der Gotik in seiner reinsten und starksten Form. Sein Leben war Flucht, Flucht vor sich selbst in die Regionen eines unendlichen Einsamkeit, Flucht vor der Menge, vor dem Tage, vor der Zeit. Der Fluch des Kiinstlertums, des Einsamsein-Miissens und des Einsamsein-Wollens, lastete schwer auf diesem Mann, der aussah wie eine von ihm geschaffene Plastik, ein zerqualter und doch ein begnadeter Mensch.

Sein Leben war Einsamkeit, ganz dem Werke verfallen. Wir konnen uns kaum vorstellen, dass dieser untersetzte, emste, bartige Mann mit dem leidgezeichneten. Gesicht eine Familie oder Freunde besessen ham.- Er war nur von semen Visionen besessen, die ans Licht driingten, oder in das Dana- men deutscher Dome.

Ernst Barlach kommt von der holsteinischen Erde. Er wurde in Wedel geboren, 1870, im Jahre des deutsch-fran- zosischen Krieges. Er studierte in Dresden und Paris. Im

Jahre 1906 unternahm er eine kurze Reise nach Russland. Ein paar Monate Aufenthalt in der weiten grenzenlosen Landschaft Sfulrusslands formten f-iir immer seine Kunst.

Es war weniger eine neue Erkennmis als eine unerhorte Bestatigung seines eigerien Wesens. 'Nur der Dumme mag glauben, dass die in Russland gewonnene Form aus der reichen Hand beilaufig und trinkgeldmiissig in meine Arme gelegt sei ", so urteilte er selbst dattiber. In die Heimat zuriickgekehrt, litt er weiter Not, aber unermfidlich schaffend, ohne Kompromisse, ohne jedes eindeutige oder zweideutige Schielen nach Absatz oder Rulun. Mach dem Kriege, den er in seiner unheiligen Dreifaltigkeit von Brutalitat, Send- mensalitat und Stupiditat durchschaut hatte wie nur wenige in dieser " grossen " Zeit, da hatte er das Gluck, in dem Verleger Paul Cassirer nicht nur einen Miizen, sondem auch

amen Bewunderer zu fmden. Ernst Barlach erhielt von nun an eine Monatsrente von 150 Mark Damit richtete

er sich eine Scheune bei Giistrow in Mecklenburg als Atelier

ein, mid arbeitete unermiidlich von Morgens bis Abencis, Tag urn Tag und Jahr um Jahr. Cassirer und dessen Frau, die

Schauspielerin Tills Durieux waren die Hauptsammler seiner Werke. Spat erst besann sich die Republik ihrer Verpilich- tung gegeniiber diesem gewaltigen Kiinstler. Seine Dramen wurden endlich aufgefiflut, seine Totenmale wurden aufge- stellt, seine Plastiken wurden endlich, endlich in den Museen dem Volke zuganglich gemacht. Als das Dritte Reich herein-

brach, brach mit ihm auch das Werk Barlachs zusammen. Von den Herren um Hitler wurde Barlach als " Kulturbol- schewist " abgestempelt und abgelehnr, dessen Werk deutscher 1st als das gesanunte plastische Schaffen der glatten und kalten Epigonen, die heute eine " arische " Kunst repasenrieren.

Seine Totenmale wurden entfernt, die unvergleichliche schwebende Mutter im Giistrower Dom, jene erschiitternde

einmalige Sechsfaltigkeit des Magdeburger Gefallenenmals, die tragische Mutter in der Nikolaikirche zu Kiel, "Min Hart blOtt vor Gram," der herdiche Engel vor der Universitatskirche zu Kiel, die arrne Mutter mit dem Kindc des Hamburger Ehrenrnals. Alles fort, sianlos, grausam, viehisch zerstort, fiir immer.

Es hiess, der Kimstier, bereits ciii Greis, sei dariiber tob- siichtig geworden und sei in eine Irrenanstalt gebracht warden. Wir konnten nicht erfahren, ob clieses letzte Grauen tatsachlich Wirklichkeit wurde. Wir wissen nicht, was von seinern Werk gerettet ist. Wir wissen nur, class es in der Kunst unserer Tage kaum einen zweiten gab, der so Gewaltiges und Ein- maliges geschaffen hat wie der grosse deutsche Bildhauer und Dichter Ernst Barlach.