13 MAY 1938, Page 16

CARL VON OSSIETZKY

(Von einem deutschen Korrespondenteni

WER ihn gekannt, geSelm, gehOrt, gelesen, der wird ihn nicht vergessen, ihn, Herz und Him der Deutschen Republik. Er war ein Demokrat in einer Demokratie ohne Demokraten, ein Republikaner in einer Republik ohne Republikaner, ein Liberaler mit Riickgrat und Gesinnung, wo es beide noch nicht und wiederum nicht mehr gab. Er hatte kein Forum, keine Partei, keine Armee hinter sich, nicht einmal einen Stammtisch. Nur ein Schreibtisch war sein eigen und das Recht und die Pflicht, zwei, drei oder vier Seiten in einem kleinen roten Heft schreiben zu diirfen oder zu miissen. Dieses Heft war die " Weltbillme " und Carl von Ossietzky war ihr grosser, einziger, unvergesslicher Regisseur. Diese " Weltbiihne " war das Erbe von Siegfried Jacobsohn ; er hatte die Wochenschrift als " Schaubiihne " begrundet ; als es dann nichts mehr zu schauen gab, well die " grosse " Zeit ausgebrochen war, da wurde aus der " Schaubiihne " die " Weltbrihne," neben Karl Kraus' " Fackel " in Wien, Franz Pfemferts " Aktion " und Erich Milhsams " Fanal " das einzige Blatt mit Gesinnung, Mut und Verstand. Die " Welt- biihne " hatte keinen grossen Abonnentenkreis, nie mehr als zo-15.000, aber einen urn so grosseren Wirkungskreis, da sie in alien Betrieben, Kasernen and Schulen gelesen wurde. Bei der Gesinnungslosigkeit der Demokratenpresse, bei der Sturheit der Linkspresse war hier ein Blatt, das den Feind der Republik erkannt und bis zuletzt beklimpft hatte. Was dieser traurige Staat so zwischen 1918 und 1938 auch produzierte,— eine gleichgeschaltete " Weltbiihne," ein gleichgeschalteter Ossietzky war imvorstellbar. Es gehort zu den unerklarbaren Ratseln unserer Zeit, dass die gesammelten Schril ten von Carl von Ossietzky noch nicht erschienen sind, weder in deutscher noch in englischer Sprache, wahrend sich das ilberfliissige und libel Zeug stand- punktloser Konjunkturritter in alien Verlagen und Magazinen breit machen kann. Jetzt, wo durch den Qualentod dieses edlen Menschen die letzten Rricksichten auf seine personliche Sicherheit weggefallen sind, wird hoffentlich diese Lucke bald ausgefrillt werden. In Ossietzkys Schriften allein liegen die Quellen vergangenen Unterganges and kiinftiger Wieder- geburt. Sein Vermachtnis wird vollstreckt werden . . .

Ossietzkys Leben wane nur fiinfzig davon waren dreissig Jahre Kampf and Leiden. Am 2. Oktober, 1887, in Hamburg geboren, begann er als 23 Jahriger im " Marz zu schreiben, erlebte die Zabern-Affare, machte als Soldat vier Jahre Schutzengraben mit, wurde dann Sekretar der Friedens- gesellschaft, Redakteur der Berliner Volkszcitung, Organisa- tor der Bewegung " No more war ! ". Als 4o Jahriger wird er Schriftleiter der " WeltbOhne " and veroffentlicht von nun an allwOchentlich seine beriihmten Leitartikel, die ihm den Hass der Rechten einbringen. Das Jahr 1932 verbringt er im Gefangnis wegen eines Artikels Ober die illegalen Riistungen. Nach zwei Monaten " Freiheit " in der sterbenden Republik wird Ossietzky in der Flammennacht des Reichstagsbrandes verhaftet und in fiinf Jahren erledigt. Am II. Matz, 1936, hatte Herr Goebbels seinen Kopf gefordert, m 4. Mai, 1938, hatte dieser Kopf aufgehort zu denken.

Unvergesslich bleibt jedem, der sie erlebte, die letzte Vei - sammlung des " Schutzverbandes deutscher Schrif.: tel:er " in den Teltower Kammersalen am 20. Februar, 1933. Ossi.t k hatte das Referat ; es gipfelte in drei Worten : " Verachten und weitergehn." Nach ihm sprach Erich Miihsam, eine lodernde Flamme. Trotz der verschlossenen Tiiren mussten Spitzel da gewesen sein, denn auf beide Redner fiel schwer die Faust des Fiihrers. Miihsam wurde erst taub, dann tot gepriigelt. Ossietzky starb an den Folgen einer Behandlung, die der Henkerbericht als " Gehirnhautentziindung " scham- haft umschreibt.

Er hatte alles erlebt, was ein Mensch ertragen kaan ; die hochste Ehre, die die Welt verleiht, den Nobelpreis ; die tiefste Schmach, die die Unterwelt kennt, das deutsche Kon- zentrationslager. Aber diese Schmach adelte den edlen Dulder. Raub der Freiheit, der Familie, des Vermogens, des guten Namens, der Freunde, des Landes, und schliesslich des Lebens. Er ist nicht umsonst gestorben, hat nicht umsonst gelitten. Er nicht, and Andre, Baron, Eckstein, Lessing, Miihsam nicht. Keiner. Wie es in der guten Botschaft verzeichnet and verheisset steht : " Nicht alle sind tot, die begraben sind, denn sie Viten den Geist nicht, Ihr Brilder ! "