18 OCTOBER 1935, Page 15

Dichterdimmerung

[Von einem Deutschen Korrespondenten] DIE deutschen Dichter sind in Not. Es geht den schrift- stellernden Propagandistcn des Dritten Reiches weder materiell noch ideell gut. Sie bilden wegen ihrer intellek- tuellen Bedeutung innerhalb der deutschen Kulturfront einen wichtigen Absehnitt, und machen daher den Machthabern in Deutschland viele Sorgen. Einige Ereignisse aus den letzten Tagen beweisen, dass neben der Not der Arbeiter, Bauern, Burger, Handwerker, Kaufleute u.a. auch die Not der Dichter Deutschland zu sehaffen macht.

Vor einem Jahre hiitte der Schutzverband deutseher Schriftsteller sein " Silver-Jubilee " feiern kiinnen, wenn er nicht ein Jahr zuvor vom Dritten Reich gewaltsam gesprengt und aufgelast worden ware. Eine Anzahl von Schriftsteller- Subjekten, die aus Konjunkturgriinden in zwei Organisa- tionen waren, im alten Schutzverband und im neuen Nazi- Reichsverband, half mit, die erste Organisation zu zerschlagen. Diese Herrschaften erwarteten natiirlich, von Hitler Eir ihr sauberes Verhalten im Dritten Reich belohnt zu werden. Man hat sic nun zwei Jahre lang auf die Zukunft vertrtistet, urn jetzt ihre Organisation vollstandig zu vernichten.

Als der Schutzverband deutseher Schriftsteller vor dem Krieg gegrandet wurde, da versuchten einige Pioniere eine Organisation zu schalTen, urn die Dichter vor den milehtigen Redaktionen und Verlagen zu schtitzen, um ihnen in Pro- zessen einen Rechtsschutz zu geben und um sic zur Solidaritat zu erziehen. So verschwand langsam die liicherliche Gestalt des weltfremden Poeten und der Dichter wurde ein geachteter und nach seinem Wert geschatzter Menseh. Fast alle reprii- sentativen Diebter Deutschlands and Osterreichs waren in der Organisation, und halfen in edler Kameradschaft auch ihren weniger beriihmten Kollegen mit .Rat und Tat. .Alles das anderte sich, als Hitler zur. Macht kam. Die nicht hitler- hOrigen Schriftsteller verliessen Deutschland, die anderen versturnm ten oder schalteten sich gleich.

An die Spi tze der Dichter wurden zwei nationale Feder- fiihrer kominandiert, die Herren Blunek aus Altona und Johst aus Seerhausen. Dann kam es zu Konflikten zwischen diesen beiden, Munch wurde President der Reichsschriftturns- hammer, Johst wurde auf eine Weltreise gaschickt. Jetzt aber wurde der Federspiess uingedreht, Johst wurde President, von Herrn Gobbels, dem Prasidenten der Reichskultur- kammer, persOnlich dazu ernannt. Blunek wurde sozusagen zum Altpapier geworfen, indem er " ehrenhalber " Alt- priisident wurde. Gleichzeitig mit der Anderung in der Generalitiit wurde auch die Armee als solehe aufgeRist. Den im Zoo versam- melten Schriftstellern wurde von bisher ganzlich unbekannten Zeitgenossen namens Moraller, Suchenwirth, Stoffregen, Wisman und Hinkel mitgeteilt, dass der Reichsverband seine Mission, ein tbergangsstadium zur Reinigung des Schrift- stellerberufes zu bilden, erfilllt habe. Die Reinigung ist abgeschlossen, der Reiehsverband kann gehen.

Der Schriftsteller ist wieder ohne Organisation, wie bereits vor fiinfundzwanzig Jahren. Er ist wieder reehtlos. Dafilr hat er als Trost den Ausspruch des Herrn Harms Johst, dass Ueberorganisation die Seelen verstimme. Die 17,277 deutschen Schriftsteller, von denen 1888 Frauen und 7034 in selbst- standiger Stellung sind, bilden nun als loser Hanle die Gefolgschaft filr den Dichter-Fiihrer Johst. Wie die geistige Befreiung des deutschen Dichters in Wahrheit aussieht, dafiir zwei Beispiele rms der letzten Woche.

Der thiiringische Innenminister Wachtler hat den Weirnarer Schriftsteller Heinemann in Schutzhaft genommen, und ins Konzentrationslager Bad Sulza iiberfiihrt, weil Heinemann versucht habe, das Ansehen des Deutschen Nationaltheaters herabzusetzen.

Der Geschaftsfiihrer der Reichskulturkammer Hinkel erkliirte, dass man behn geistigen Vormarsch vor grossen Namen der Vergangenheit nicht halt machen werde, die sich etwa hindernd in den Weg stellten. Die sieben Kammern der Reichskulturkammer werden daft:1r sorgen, class deutsche Kunst und Kultur sauber, gesund und einwandfrei /tacit nationalsozial isli schen Gr undsatzen zur Geltung kommen.

Ein Satz mit Grundsiitzen, vor dem sogar ein Goethe verzagt ware. Dean et meinte nosh, der Tor, Dichten sei