26 MAY 1939, Page 18

PFINGSTEN AM PFINGSTBERG

[Von einem deutschen Korrespondenten] " PFINGsTEN, das liebliche Fest, war gekommen; es grfinten und bliihten Feld mid Wald; auf Hfigeln und Hahn, in Busch- en mid Hecken libten ein frohliches Lied die neuermuntenen Vogel; jede Wiese sprosste von Blumen in duftenden Griin- den, festlich heiter glanzte der Himmel und farbig die Erde." Als Goethe sein Tierepos vom Reineke Fuchs schrieb, da hatte dies der Dichter verfasst, urn sich von der " Betrachtung der Weltlandel abzuziehen, und es ist tnir gelungen," teilt er seinem Freunde Fritz Jacobi mit. Damals gab es die Wir- ren der Revolution und der Interventionsluiege, aber Goethe befreite sich davon, indem er das Hohelied der ewig jungen Landschaft dichtete.

Warum sollen wir nicht auch eitunal in den dunlden Tagen der Gegenwart den Qualen der Grosstadt mit all dem Luft- schutzrummel mad Uniformenunwesen entfliehen und uns ein wenig ergehn auf Hiigeln mid Hohn? Wenn es einem Goethe gelang,, warum soil es nicht auch uns gelingen? Lasst uns Pfmgsten, das alte heidnische Friihlingsfest, auf dem Berg, der semen Namen trigt, verbringen. Fast vor den Toren von Berlin, im Norden von Potsdam, erhebt sich dieser Hugel. Wenn wir rechtzeitig da sind, werden wir einen schonen Tag haben.

So lasst uns zeitig aufbrechen ; urn sechs Uhr friih macht ein Ausflug sogar am Pfmgstsonntag Spass. Die Strassen sind noch leer, ein paar Autos und etwas mehr Fahrrader suchen sich ihren Weg nach dem Westen. Wir schreiten riistig aus, es ist noch ziernlich frisch, bald sind wir am Bahnhof Chariot- tenburg mid nehmen uns eine Fahrkarte bis Neubabelsberg. In einigen Minuten hat um der elektrische Zug in den Grunewald gefiihrt. Der Grunewald steht vor grossen Veranderungen. Seit einem Monat wird bier emsig gebuddelt. Nicht weniger als drei Umwalzungen bereiten sich bier vor. Erstens wird der Wald selbst verandert ; aus einem Kiefem- wald soil ein Mischwald werden ; in einer Baumschuk beim Grossen Stern wird bald rund eine Million von Suchen wad Eichen eingeschult werden. Femer werden drei grosse Wege vom Osten his an die Havel gebaut, jeder dieser Wege soil sich dem Landschaftsbild des Grunewaldes besonders anpassen. Und schliesslich werden vier Kilometer Badestrand an der Havel mit Steil-und Flachufer, mit Liegewiesen und Schilfufer für Sonnen-und Wasserbadende fertig gemacht. Der Zug saust neben der Avus durch den Wald und wir freuen uns auf die Verwandlung dieser Landschaft, die mit ihren zwilftausend Morgen Flache bald ein grosser bliihender Garten sein wird.

Doch nun sind wir in Neubabelsberg, dem ostlichsten Punkt von Potsdam, das seit einigen Wochen Grosstadt ist. Deutschland besitzt heute etwa sechzig Grosstadte mit diner Einwohnerschaft von mehr als hunderttausend in jeder Stadt. Potsdam, jenes einmalige Gebilde, geschaffen aus Fluss, Gar- ten, Kasemen, Palasten, von der Havel durchw4ssert mid den Reichsautobahnen umitlammert, mit der BaroCkpracht von Sanssouci und den unterirdischen Arsenalen von Wildpark, dieses Potsdam ist ein ewiges steingewordenes Wunder.

Wir wandem um den Griebnirzsee, iiberschreiten hinter Klein-Olienicke die Havel mid gehen am Jungfernsee entlang, iiber die Schwanenbrikke und am Grfinen Haus vorbei durch den Neuen Garten hinauf zum Ziel unserer Pfingstwan- derung, zum Pfingstberg.

Ein herrlicher Blick iiber Hugel, Seen und Walder belohnt uns. Im Norden und Osten die Insellandschaft der Havel, mit ihren tinzahligen Buchten und Schlossem, im Westen das Bomstfidter Feld mit dem Ruinenberg und dem Park von Sanssouci, im &Wen die Sta.dt Potsdam selbst, durch die sich die Havel zwischen Lustgarten turd Brauhausberg recht und schlecht hindurchquetscht. Wie viel ist bier zu sehen! Belvedere heisst der eine Aussichtsturm, und es ist wirklich eine schone Schau!

Die Zeit steht still. Uns ist es recht. Ueber uns ist ein Himmel, blau, wolkenlos, aeroplanlos. Um uns ist Stifle. Keine quakenden, bellenden Kommandorufe entheiligen heute die Ruhe. In uns ist Friede. Wir schliessen die Augen und atmen mit freier Brust, ohne Beldemmung und Grauen vor dem Morgen. Und für einen kurzen Augenblick spiiren wir, dass die Ausgiessung des heiligen Geistes kein Bibelwahn sondern das lebendige Wunder einer begnadeten Minute.