27 APRIL 1934, Page 13

WANDERVOGEL ADE !

[VON EINEM DEUTSCHEN KORRESPONDENTEN]

DER Wandervogel ware in diesen Tagen 35 Jahre alt geworden, wenn er nicht im Dritten Reich auf- gelost und seine Mitglieder gleichgeschaltet worden waren. Mit seinem mehr oder minder unfreiwilligem Ende schliesst ein Stuck deutscher Jugendbewegung ab, die Tausenden von Menschen eine hinge Zeit Sinn und Inhalt ihrcs Lebens gab.

Als im Friihjahr 1899 der junge Student Karl Fischer mit einigen Schiilern des Steglitzer Gymnasiums in Berlin zu wandern begann, ahnte keiner von ihnen, dass diese Wanderbewegung einmal Zehntausende umfassen werde. Aber diese Bewegung " Los von Schule und Elternhans hin zur Natur " wurde ein machtiger Strom, der sich in den fllnfzehn Jahren der Vorkriegszeit in zahlreiche Aeste gabelte. Da gab es Alt-Wandervogel, Jung- Wandervogel, Gross-Wandervogel, .Freischaren, Frei- studenten und andere mehr. Alle diese Gruppen, die ein durchaus starkes Eigenleben hatten, einten sich am Jahrestag der Volkerschlacht zu Leipzig (Oktober 1913) auf dem Berge Hoher Meissner bei Kassel zur " Freideut- schen Jugend," an deren Spitze Personlichkeiten wie der Verleger Diederiehs und die Paedagogen Messer, Natorp, Wyneken standen. Die beriihmt gewordene Parole vom Hohen Meissner lautete : " Die Freideutsche Jugend will aus innerer Verantwortung, aus freier Selbstbestimmung und mit innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten. Fur diese Ziele tritt sie unter alien TJmstanden geschlossen ein."

Neun Monate spater musstc sie allerdings fur andere Ziele geschlossen eintreten mid die sinnlos geopferten Jugendregimenter bei Langemarck bestanden aus den Bunden des Wandervogels. Was dann Ostern 1919 in Jena zusammentrat, um aus der " freideutschen " Jugend die " entschiedene " zu bilden, war nur ein trauriger Rest jener ehemaligen Bliite der Nation und nur etwas vermehrt durch cinige unterernahrte Kriegs- jahrgange. In der Folgezeit entwickelten sich heftige Kampfe urn Inhalt und Sinn des Wandervogels, bei denen auf der einen Seite der Arzt Knut Ahlborn, der Philosoph Hans Bliiher und der Graf Hermann Keyser- ling, auf der anderen Seite die Sozialistcn Karl Bittel, Alfred Kurella und Karl August Wittfogel standen. Nash der Tagung von Hofgeismar 1926 war die Spaltung in Nationalisten und Kommunisten vollzogen und Hans Bliiher konnte seine " Geschichte des Wandervogel" mit Hecht " Aufstieg und Verfall " nennen.

Die im Grossdeutschen Bund zusammengefasste Biindische Jugend, zu der 1930 noch die Pfadfinder- Biinde kamen, nannte sich Deutsche Freischar, die 1933 dem Jugendfuhrer des Deutschen Reiches, Herrn Baldur von Schirach unterstellt und damit aufgelost wurde.

Der Wandervogel hatte eine starke lebensreformerisehe Tradition. Die Fahrten waren streng alkohol-, nikotin- und meist auch fleischfrei. Man iibemachtete in Scheunen oder Zelten. Erst spater liebte die Jugend die Bequemlichkeit der Jugendherbergen, die von 17 (im Jahre 1911) auf 2,124 Om Jahre 1932) anwuchsen. Heute diirfen diese Jugendherbergen nur von solchen Jugendlichen betreten werden, die das dort befindliche Hitlerbild mit dem Hitlergruss begriissen.

Vor einigen Tagen hat sich der im Jahre 1911 gegriindete deutsche Pfadfinderbund selbst aufgelost. Der Wander- vogel hatte das nicht mehr notig, weil bei ihm nichts mehr

vorhan3= war . . . Ade Wandervogel . F. G,