29 NOVEMBER 1935, Page 16

Zarathustras Schwester

[Von einein Deutschen Korrespondenten]

FRAU ELISAIWT I FORSTER, die Schwester Friedrich Nietzsches, ist in1 holier biblischen Alter gestorben ; sic ist neunzig Jahre alt geworden. So hat sic ihren nur mu zwei Jahre iilteren Bruder um fiinfunddreissig Jahre tiberlebt.

In diesem Menschenalter hat sich eine Welt veriindert. Die blonde Bestie, von der Nietzsche einmal ge. trilumt hatte, ist zur Wirklichkeit geworden. Sogar der li.Thermensch ist der Welt bcschert worden. Aber wir wissen kaum, ob er dem Idcalbild Zarathustras entspricht. Urn das Leben und Schaffen des grosser deutschen Philosophen liegt auch heute noch cin geheimnisvoller Schleier, der schwer geliiftet werden kann.

Nietzsche wuclis im Haase von Verwandten auf, nach dent er seinen Vater, cinen Pfarrer, bereits mit ftinf Jahren verloren hatte. Es war ein richtiges Frauenhaus, wo er zwischen Mutter, Grossmutter, Schwester und Tanten erzogen wurde. Dann studiertc er in Pforta, Bonn, Leipzig und

• wurde als fiinfundzwanzigjithriger Doktor der Philosophic nach Basel berufen, wo er zehn Jahre lang als Universitlits- Professor wirkte. Weitere zehn Jahre leble er dann in einer freiwilligen Emigration, 'twist in der Schweiz und in Italiere, Mitt in Turin einen Zusarnmenbrueli mind vegitierte dams 11001 zehn Jahre in Naumburg mind Weimar, wo ihn der Tod urn (lie Jahrhundertwende erloste.

Seine Schwester, das Lama, wic er sic seherzhaft nanntc, Matte mit jungen Jahren den Arzt und Rassemystiker Kirster geheiratet und war mit ihni und einer kleinen Arier-Gemeinde 'melt Paraguay ausgewandert, tut dort viilkisch zit siedein. Nach dem Zusammenbruch dieser Sekte und dem Tod ihres Gallen kehrte Elisabeth nester-Nietzsche nach Naumburg zurilek, um dort zusammen mit ihrer Mutter den kranken Bruder zu bet reuen. Nadi dem 'rode der ,Mutter iiber- siedelten die Geschwister 'melt Weimar, wo Elisabeth das Nietzsche-Archiv errichtete. Die Pllegerin von Leib und Work des ktilmsten deutschen Denkers schrieb flint' Bucher fiber das Leben ihres Bruders, von donor besonders die beiden letzten Blinde "Der junge Nietzsche" und " Der einsante Nietzsche " &dn• bekannt geworden sind und wegen des pietistisehen Tones eine leblufft.e Polemik erweekten. Der Kampf um das wahrc Gesicht Zarathustras ist in Deutschland nie beendet worden. Auf der cinen Seitc standen die Freunde des Denkers, auf der anderen Scite die Sehwester, gestiitzt auf die Autoritat des Nietzsche-Archivs. Es darf nie ver- gessen werden, mit welcher Sorgfalt Frau Forster um den Ruhm ihres Bruders bemiffit war. Oh sic aber je gewillt war, fluent Bruder, in die Sphfiren " jenseits von Gut rind Bose " zu folgen, ob sic, zeitlebens eine fromme Christin, iiberhaupt je etwas von' Hauche Zarathustras und des Antichrist verspiiren konnte, das ist schwer zu entscheiden.

Politisch hat Elisabeth Forster-Nietzsche wont kaum eine Elberzeugung gehabt ; sic hatte Freunde und Anhiinger unter den Machtlinbern des ersten, zweiten und dritten Rciches. Friedrich Nietzsche war vor dem Sporenklirren von Bismareks Kiirassier-Stiefel wie vor dem von Richard Wagner. besorgten Theater-Donner des Bayern-Kiinigs ins Ausland gellohen raid hatte zu Lebzeiten nur einmal dwelt die 'rat, als Krankenpfleger itn deutsch-franzosischen • Kriege, seine Zugehorigkeit zit Deutschland bewicsen. ,

• Seine Schwester aber versuchte, aus dem gigantischen und! unaussehOpfbaren Lebenswerk Hires Brudcrs einen Baustein und eine Legitimation ftir das dritte Reich zu formen. Dieser Versuch ist geseheitert : der Fiihrer ist nicht den Ubcrmensch und der General Ludendorff„nicht der Antichrist und (lee. General Goering nicht die blonde Bestie. Das Reich Nietzsches ist nicht von dieser Welt .

Zur Trauerfeier urn .Forster-Nietzsche int Haus ant Silberblick zu Weimar hat sich der Fiihrer mind Reicliskanzler personlich eingcfunden, der von ihr schon Jahre vorher den Stock-Degen Nietzsches crhalten Matte. Herr Hitler vertrat samtliehe deutsche Philosophen, die in einer letzten Rest n Scharr fern blieben. Dafiir waren Reichsleiter Rosenberg ieltsjugendflihrer Schirach anwesend. Es warden Latch cringe Reden von Nazis gehalten.

An der schlichten Beisetzung naltmen nur wenige teil.. Im Geburtsort der Ceschwister, dem ” f Hocken bei Liitzen

wurde die Schwester an der Bruders und Hirer Eltcrn zur ewigen Ruhe F. G.