2 NOVEMBER 1934, Page 13

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EINE VOLKERWANDERUNG

[VON EINEM DEUTSCHEN KORRESPONDENTEN.)

VOR einem Jahre erliess die Deutsche Reichsregicrung (in Gesetz, dureh das ein Reichsaussehuss fiir Fremdenverkehr gesehaffen wurde. Dimes Gesetz voni 23.6.33 schuf die Grundlagen fiir siimtliche Organisa- tionen des Fremdendienstes. In Bayern machte es der Wirtschaftsminister Esser den Vermietern zur Pflicht, den Fremden gastfreundlich und preiswert unterzu- bringen, class er das Geffild ftirsorgender Gastlichkeit mit nach Hause niihnic. So entstand in dem Fremdeu eM Konflikt, da auf der einen Seite der Abscheu fiber die Juni-Morde und auf der anderen Seite die 60 Procent Fahrpreis-Ermassigung um seine Seele stritten. Nach den jetzt verfiffentliehten Statistiken scheint die Ermits- sigung fiber den Abscheu gesiegt zu haben, sonst ware die Zunahme von 150.000 Fremden gegenuber dem Vorjahre nicht zu erklaren.

Eine wahre Volkerwanderung ergoss sich fiber Bayern Gaue. 550.000 Fronde besuchten Bayern, rund 1,200.000 Uebernachtungen wurden registriert und vermutlich such bezahlt. An der Spitze der in Munchen weilenden 76.000 Ausliinder stehen die Englander mit 11.000 Besuchern. Ihnen folgen erst die Hollander, Nord- amerikancr, Schweizer, &e.

Welche Statten wurden von den Fremden vor allem besucht ? Es ist eine grosse Reihc von Platzen und Veranstaltungen. Da ist zuerst einmal die .Ober- ammergauer Jubiltiumspassion, die wohl die meisten Neugierigen anlockte. Dann folgen die Wagner-Fest- spiele in Bayreuth, die aber 'melt versehiedenen Berichten mehr ein moraliseher als ein pekuniarer Erfolg waren. Die Mozart-Festspiele in Munchen, eine Art Konkurrenz gegen die ahnlichen Veranstaltungen in Salzburg, sowie die Augsburger Freilichtspiele lockten die Theater-Liebhaber an, wahrend anderc sich mehr fiir Ausstellungcn interessierten. Da gab es die Mfinchener Kunst-Ausstellung, eine Siedlungs-, Strassen-, Strassen- bau-Schau, Ausstellungen des Oberammergauer Theater- museums, der Heilaudsehen Fayencen, des Munchner Ktinstlerbundes "Kfinstler and Entwicklung," "Christ- liche Kunst," ferner Kongressc wie jener der Friscure und endlich der Reichsparteitag der Nationalsozialisten in Nurnberg.

So kamen die Hunderttausende auf ihre Kosten. Und da such Deutschland seine Geld-Sperre gegen Oesterreich weder vor noel nach dem Nazi-Putsch aufgab, blieb der Strom der Fremden im Lande. Die Organisation der Deutsehen Arbeitsfront "Kraft durch Fr:..-ude" brachte ebenfalls etwa 70.000 Norddeutsche nach Bayern, die an vier Millionen Mark ins Land trugen.

Viel besucht wurden neben der Metropolc Munchen- wohin allein zu dem berillimten Oktoberfest 100.000 Gaste kamcn—die Ortc Bad Tolz, Berchtesgadcn, Garmisch-Partenkirchen, Mittenwald, Reiehenhall, Ruh- polding, Schliersec und Tegernsee. Auch Oberstdorf in den Allgauer Bergen war von Fremden tiberlaufen.

Nur kurze Zeit kann Bayern von den Strapazen des Fremdenverkehrs ausruhcn. Denn bald nach den Bier- Festen der Theresienwiese in Munchen setzt der neue Zustrom der Fremden zum Wintersport ein. Bitten die Vorteile der Registermark fiir den Ausliinder eine besondere Anziehung, so ist es ftir den Inlander, der faktisch von Auslandsrcisen abgesperrt ist, von beson- derempolitischen Reiz, den Widerstand der beiden Kircher, der katholischcn wie der protestantischen, gegen die Gleichschaltung der Muller, Jager und Konsortcn an Ort und Stelle zu studieren.

So bleibt Bayern Deutschlands Fremdenverkehrs- zentrum, zu dem im Sommer wie im Winter wahrz