30 JUNE 1933, Page 12

Ein deutscher Journalist

[VON EINEM DEUTSCHEN KORRESPONDENTEN.]

IN England werden nur ganz wenige Hellmut Gansser kennen. Auch in Deutschland ist er dem Namen nach nicht sehr vielen bekannt gewesen. Dieser deutsche Journalist ist kuerzlich gestorben. Es. sei heute hier von ihm die Rede, weil sein Geschick in manchem den Stempel des deutschen Leides der Nachkriegszeit tragt. Im Krieg, in dem er Allerausserstes fuer sein Vaterland hergab, wurde ihm der Korper durchschossen. In starkem Mannesmut gab er sich nach dem Friedensschluss treuestei Pflichterfuellung hin. Die Vernunft in ihm sah den deutschen Weg, aber die Seele vermochte die Ungeduld nicht zu meistern. Aus Hellinut Gansser, der einer der besten deutschen VOlkerbundsjournalisten war, zuckte in, den letzten Jahren mehr und mehr die Auflehpung gegen die Entrechtung, die Deutschland erlitt. Sein Herz war schon seit langerer Zeit von den Flarnrnen der jungen deutschen Bewegung durchglueht, nur sein starkes Verantwortungsgefuehl hielt jim davon ab, sich ihr vollig hinzugeben. Viele der Weltjournalisten, die sich zur Zeit aus Anlass der Londoner Wirtschaftskonferenz bier in England befinden, werden ihn mid seine anmutige Frau in Genf bei der Arbeit gesehen haben, vielleicht ohne semen Namen zu kennen. Denn sein Beruf war emn bescheidener : was er berichtete, erschien in den deutschen BlAttem anonym, war er doch der Korrespondent eines der Nachrichtenbueros, deren journalistische Vertreter darauf verzichten muessen, sich durch Bekanntgabe ihrer Autorschaft beruehmt zu machen. Aber was er yorn Genfer VOlkerbund meldete, ist lange Jahre hindurch von einer sehr grossen Zahl deutscher Blatter an promi- nenter Stelle abgedruckt worden. Der Anblick dieses fleissigen Marines und seiner fleissigen Frau, die seine beste ICameradin und einzige Gehilfm war, bei der Arbeit in Genf war eine Freude.

Im Weltkriege war er mit 16/ Jahren als Freiwilliger von der Schulbank aus ins Feld gezogen. In der Schlacht von Tannenberg wurde ihm die Lunge dreifach durch- schossen. Er wurde Fliegerleutnant und erlebte drei Abstuerze, bei denen er neue Verwundungen erlitt. Ms er eimnal in brennendem Flugzeug zur Erde gehen musste, versuchte er trotz eigener Brandwunden heldenhaft seinen Flugkameraden zu retten. Fuer seine Tapferkeit vor dem Feind erhielt er das Eiserne Kreuz enter Klass° und eine Reihe anderer Kriegsauszeichnungen. Dann kam der Friede, der ihn, den Sohn des Saargebiets, noch mehr belastete, als jeden anderen vaterlandsliebenden Deutschen. Es zog ihn zum Journalismus. Nach Anfangen in Berlin widmete er seine Feder den politischeri Beduerfnissen der bedrohten engeren Heimat. Dann trieb es ihn nach Genf, den Sitz des VOlkerbundes, wo er hoffte, dem Saargebiet noch besser nuetzen zu kOnnen. her wuchs er hinein in die Weltpolitik. Er lemte Joumalisten aus aller Welt, deutsche Staatsmanner mid ausliindische Politiker kennen. Fuenf lange Jahre hielt es ihn dort. Aber die Genfer Atmosphare mit dem langsamen Vor- wartskommen der Beschluesse mid mit den ewigen Kompromissen, die nur zu oft nicht von der Vernunft, welche versucht nach Moglichkeit alien Seiten gerecht zu werden, sondem von der Feigheit diktiert werden, hat mit der Zeit fuer em n feuriges Gemuet etwas geradezu Unertragliches. Hellmut Gansser aber war trotz aller Vernunft seinem ganzen Wesen nach em n Feuerkopf. So entfemte sich sein Geist in den Beriehten, die er nach Deutschland schiekte, allmahlich immer mehr von den Genfer Gedankengtingen. Er, der ueber den Volkerbund berichten musste und ihn hiitte semen deutsehen Lesern interpretieren sollen, stand innerlich schon langst in scharfer Opposition zu der Gruenchmg Woodrow Wilsons. Dieser innere Zwiespalt zerriss ihn. Er wollte nun in die weitere Welt hinaus. Es entstanden in Hun Plane, nach Suedamerika oder nach China zu gehen. Doch these wirren Projekte liessen sich sehwer • fmanzieren. Schliesslich wurde er Vertreter seines Korrespondenz- bueros in Paris. Dort aber maehte sich sogleich emn totliches Leiden bemerkbar. Es war von den Kugeln, die ihm die Lunge im Weltkriege zerrissen hatten, zurueek- gelassen worden. Ohne Kenntnis seiner verzweifelten Lage starb er 85 jahrig in der franzosisehen Hauptstadt.

Seine Heimatsstadt Saarbruecken hat ihm dann auf ilvem Ehrenfriedhof einen Ehrenplatz gegeben. Von Genf, Paris und von anderen Stiidten waren viele Kollegen herbeigeeilt, urn ihn auf seinem letzten Gang zu begleiten. Fuehrende Manner der Politik und der Industrie waren an seinem Grabe zu sehen. Ein Flieger kreiste ueber seiner Bahre, als ihm die letzten Ehren zuteil wurden. Auch die Weltpresse sollte Hellmut Ganssers in Ehren gedenken, denn er war em n vaterlandsliebender Deutscher, der ver- sucht hat, seine journalistische Pflichten aufs Treueste zu erfuellen.