30 OCTOBER 1936, Page 16

Farbenhoren und Tonsehen

[Von einem deutschen Korrespondentenl

KAsss man Farben horen ? Kann man Tone schen ? Diese beiden Fragen sind das Kernstllek einer Wissenschaft, die ihr Schopfer, Professor Georg Anse]ifitz, die Farbe-Ton- forschung nennt. Diese neue Lehre wurde .von Anschfits begriindet, aLs ihm ein besonders interessantes psychisches Phiinomen auffiel. Man nannte diese Erscheinung die

analytisehe Synopsie " und sie bedeutete im Grunde nichts anderes als das Farbenharen oder Tonsehen. Zuerst wurde man in Irrenhausern auf diese Dinge aufmerksam. Dort erklarten manche Patienten, class sie einen bestimmten Ton schen konnten, also zum Beispiel ein bestimmtes " A " oder C " in einer blauen oder gelben Farbe, oder aber tungekehrt, Bass ihnen beim Betrachten einer bestinamten Farbe, wie grins oder orange, ein dazu gehtiriger Ton einfiele. Zuerst wurden diese Tatsachen wenig 'hew-Met und die Wissen- sehaftler versuchten es, diese Visionen als Ausgeburten eines krankhaften Gehirns zu verkennen. Erst spiiter, als durch das Aufkommen der Psychologie als Mode-Erseheinung, dureli den Einzug der Psychoanalyse und Individualpsycho- logic in die Salons der snobistischen Oberwelt die Selbstanalyse sozusagen zum guten Ton geharte, wurde es " interessant," rot zu horen oder Cis " zu sehen.

Die Forschung and die Lehre von Georg Anschiltz ist keine Modetorheit, sondern die ernste und verantwortungs- bewusste Arbeit eines typisch deutschen, in seinen Stoff verliebten Professors. Er hat friilizeitig das Chick gehabt, auf der jiingsten deutschen Universitiit, in Hamburg, Vorle- sungen und Experimente fiber die Farbe-Tonforschung halten zu konnen. Aber Ansehiitz 1st ein Mann unseres Jahrhunderts i er will nicht nur forsehen und experimentieren, er will, auch die Umwelt iiberzeugen. So entstanden die Internationalen Kongresse Farbe-Tonforschung auf der Hamburger Universitiit, deren erster vor zehn Jahren stattfand und deren vierter eben beendet wurde.

Die Kongresse fiir Farbe-Tonforschung sollen die Arbeits- und Denkresultate der verschiedenen Forscher in gewissen Zeitabstiinden in dem Rahmen einer gemeinsamen. Konferenz zusammentragen. Damit wird erstens eine fiir alle giiltige Basis zum Weiterarbeiten geschaffen, zweitens wird aber such die Oeffentlichkeit, sowohl. die Trilustrie wie das nur indirekt interessierte grosse Publikum von dem Stand der Arbeit unterriehtet.

Es ist klar, dass besonders ein Industriezweig, der erst im letzten Jahrzchnt einen so iiberwiiltigenden Aufschwung genommen hat, an diesen . Forschungen ganz erheblich beteiligt ist. Es ist die Filmindustrie, oder spezialler gesagt, der Tonfilm. Ueber den Film ist bekanntlich bisher wenig philosophiert und theoretisiert worden. Er war eines Tages da. Man hat ihn als selbstverstindlich hingenommen und dann teehnisch so weit and ranch als mliglich vervollkommt. Erst zu der fertigen technischen Leistung nahm der kulturelle " iiberbau," also Philosophic, Paedagogik, Soziologie, &c. Stellung. Hier war erst die Tat and erst spater kam das Wort hinzu.

Dieser Kongress befasste sich mit dem Gebiet zwischen Tat und Wort, mit dem Experiment. Zwei Wissensehaftler beherrschten mit ihren Untersuehungeri die Tagung. Pro- fessor Sommer aus Giessen, der fiber die "Psychologie des Farben-Tonfilms " sprach und der forderte, sick starker auf die individuell erlebte Verbindung des Optischen und Akustisehen zu besinnen, etwa bei einem Liede, damit man zu einer wirkliehen Verschmelzung von Bfld und Ton im

Fihne gelange. Professor Barthel sus KOIn gelangt von der Form des Tonfilins zum neuen Kunstwerk, der Farbe-Ton- symphonic, WO das Gegenstiindliche bereits unwichtig werde und nur die farblieh und .musikalisch kornponierten Gesamt- stimnumgen wesentlich seien.

Das Programm des Kongresses war inhaltlich in zwolf Gruppen gegliedert : Film aLs Kunst, Stil im Film, Jugend- psychologie im Film, Unterrichts-und Forschungsfihn, Grenz- fragen des Tonfilms, Bild-und Klangfolge im Tonfihn, Komik im Film; Farbiger Tonfilm;Visioniirer Film, Plastiseher Film,

Raum-Akustik, Arnateurfilm. Eine solche Mille von Gedanken and Anregungen, dass sie den Rahmen eines blossen Kon- gresses sprengen mussten und hineinssuchsen in das wirk-