5 OCTOBER 1934, Page 14

QUATTROCENTO

[VON EINEM DEUTSCHEN KORRESPONDENTEN.1

M Oktober sind genau .quattrocento oder vierhundert

I

Jahre.verflossen, dass die erste vollsttindige 'Ausgabe der deutschen Bibeltibersetzling, die Luther-Bibel, erschien.

Martin Luther, der Ahnvater des Protestantismus, begann die Ltebersetzung des Neuen Testaments als Vierzigjiihriger 'aid der Wartburg,. wo er sich unter dent Schutz seines Kurftirsten als Junker Jot* .yor Kaiser und Kirche verbarg. Diese sogenannte September- Bibel begann schon seit 1523, also bereits zwei Jahre nach dem Reichstag zu Worms, zu erscheinen ; _ man weiss, welche ungeheure Wirkung dieses Werk fiir die kommenden Jahrhunderte hatte.

Luthers Bibelubertragung . war nicht die erste. Vor ilun war schon die sogenannte Zainer-Bibel erschienen, die auf die 1466 veroffentlichte Mentelsche Bibel zuruckging. Seine Tat ist nur verstandlich durch die grosse ..A.utoritat, die er sich in den Kreisen des romfeind- lichen und rom-mfiden deutschen Volkes erworben hatte. Luther verdrangte den Priester, der bisher zwischen Gott und Gottes Wort gestanden..hatte und gab die Offenbarung des gottlichen Geistes, wie er die Bibel nannte, als G-eschenk in jede Bauernhiitte und lliirgerstube dadurch, dass Luther drei Hauptidiome der deutschen Spraehe miteinander verschmolzen, den Satzbau aufgelockert, neue Worte geschaffen hatte, ma.chte er das bisher nur in den toten Sprachen des hebraisch, griechisch und lateinisch • bekannte Werk zum Gemeingut des Volkes. So blieb die Luther-Bibel durch Jahrhunderte hindurch Deutschlands erstes und grosstes Sprachdenkmal. Bleibt es dieses noch heute ?

Als im Oktober 1584 die " Biblia; das ist die gantze Heilige Schrift deudsch " erschien, da loste sie einen Kampf aus, der.. heute, quattrocento oder vierhundert Jahre nachher, noch nicht entschieden ist, der aber, heftiger als je, zu einer Entscheidung drangt.

Schon melden sich hohe protestantische Kirchentrager, die in mehr oder versteckter Form eine Umformung der Luther-Bibel fordern. " Eine neue, verkilrzte Gegenwartsbibcl in der Ausdrucksweise unserer Zeit und in der Perspektive unseres Glaubens," formuliert diesen Willen eM Superintendent August Schowalter. Leider geht aus dieser Forderung nicht hervor, welche Ausdrucksweise -und welchen Glauben der Superin- tendent meint. Es gibt heute unter den Protestanten neben der protestantischen Landeskirche die evangelische Freikirche. Es gibt ferner Lutheraner augsburgischen und helvetischen Bekenntnisses. Neben diesen his- torisch iiberlieferten _ Spaltungen haben wir heute orthodoxe • Protestanten, die Hitler kritisch gegenilber stehen ; Anhanger des Reichsbisehofes Miller, die in ihm die Nachfolge Christuaund Luthers sehen ; . deutsche Christen, die das alte Testament zum alten Eisen werfen wollen und noch andere Gruppen mehr. Die vierzig Millionen Protestanten in Deutschland befmclen Sic]] heute in einem ZuStand der Zersetzung und Feindschaft, der dem in Religionsdingen toleranten Auslander mehr als sonderbar erscheinen muss. Die , Feindschaft und Gehassigkeit, mit der sich heute sechzig Milkmen Deutsche, die alle an Gottes Wort und die Bibel glauben, bekampfen, wird nur noel' miihsam unter dem Deckmantcl der nationalen Einigkeit • verhilllt.

Vierhundert Jahre nach der Luther-Bibel sehen die Nachfolger. Luthers . keine andere Rettung, als sie einzustampfen und durch eine reinrassige, arische und gleichgesehaltete Ausgabe zu ersetzen: F. G.