7 FEBRUARY 1936, Page 16

Art r- Furtwingler

[Von einem deutschen Korrespondenten]

Ica lernte Wilhelm Furtwangler ersten Nachkriegsjalue

kennen. Der damals etwa Dreissigjahrige war Kapellmeister am National-Theater in Mannheim Ind. die musikliungrigen Studenten aus dem benachbarten .Heidelberg kamen regel- massig nach dieser grossten Stadt Badens, mu bier einen der bedeutendsten Sohne des badischen " Musterliindles htiren. Wenn such Wilhelm Furtwangler ein geborener Ber- liner ist, so kain doch scan Vater, der beriihmte Archliologe, sus Freiburg im Breisgau.

Der grosse, iiberschlanke Mann mit dem damals noch recht sehmalen gotischen Gesichte lehnte bequem an einer Saute des riesigen Rosengarten-Saales, um ,sich the Debut tines ebenso reichen wie unbegabten Stab-Novizen anzuhoren. Als wir, in einem schauderhaften Fortissimo,, an ihm vorbei gingen und ihm etwas vertraulich zu zwinkerten, zuckte er, ebenfalls lachelnd, vielsagend die Sch,ultern, urn damit die Angelegenheit als erledigt abzuschliessen. Schon einige Tage spater stellte er wieder die richtige kiinstlerische Atmosphiire durch chic wundervolle Auffiihrung einer Symphonic von Gustav Mahler, damals noch einer seiner Lieblinge, her.

Die Furtwangler-Konzerte waren damals ein grosses Erlebnis. Er war noch durch keinerlci Rassenvorschriften behindert und konnte unbekiimmert Komponisten and Solisten jeder Abstammung und Konfession bringen. Seine beiden Gutter, wenn man so sagen darf, waren damals, neben den Klassikern, Anton Bruckner und Gustav Mahler. An diesen beiden Meistern, die aus der Heimat Mozarts und Schuberts kamen, in denen sich, scheinbar zum letzten Male, die beiden Elemente jeder Musik, nordische Gotik und siidliches Barock, zu einem unvergesslichen Akkord vereinigten, an diesen Genien reinster und hochster Kunst entflammte Wilhehn Furtwanglers grosses Musikertum. Um die V. oder VIII. Symphonic Bruckners oder die II. oder III. Mahlers zu horen, hungerten wir Reber zwei Tage, damit wir flue Fahrkarte and Eintrittsbillet in Frankfurt, Darmstadt cider Mannheim zahlen konnten. Damals erlebten wir, in den dunklen and schweren Tagcn kultureller und politischer Einsamkeit, nach so vielen Verlusten von Freunden und Hoffnungen, zum ersten. Male wieder so etwas wie eine kiinstlerische Inbrunst, Diese Besessenheit von einem stets striimenden Gestal- tungswillen, diese Hingegebenheit an die ausserordentliche und einmalige Leistung, dieses Dienen am Werk ist Furtwanglers Grosse. Er hat, wohl gezwungenermassen, die Objekte seiner nachschopferischen Dirigentenkun,st andern miissen. Tschaikowsky and Strawinsky sind behorilich zugelassen, aber Mahler und Schonberg scheinen irerboten I Wie sich Furtwangler damit ethisch and kiinstlerisch abge- funden hat, ist natiirlich seine eigene Angelegenheit.

Es let sehr merkwiirdig, dass man den Dirigenten Furt- wangler einen Romantiker nennt. Dazu miisste man wohl auch seine eigenen Kompositionen, die er aber streng verborgen halt, kennen. Kritik und Publikum feiern ihn am meisten ale Interpreten jener Musiker die man im Gegensatz zu den Klassikern Haydn, Mozart, Beethoven, die Romantiker zu nennen pflegt, also Brahms, Schubert, Schumann. Jenseits jeder Einordnung aber stehen die beiden Schopfer der Musik Each and Handel, in denen wohl die gotischen Elemente am starksten mitschwingen. Es dirt Furtwangler, diss er in seinen bereits klassisch gewordenen Programmen diese beiden wahren Fiihrer der Muslltwelt ehrend an die Spitze stellt. Furtwanglers Programme der drei grossen " B "— Bach, Beethoven, Brahms—sind, bei aller Grossartigkeit, etwas monoton geworden. Wir sand iiberzeugt, dass niemand dies starker empflndet als der Meister selbst.

Zu seinem fiinfzigsten Geburtstsag 1st der Ntichfolger an den Pulten von Gustav Mahler, Arthur Nildsch, Richard Stratiss; der Ehrendoktor and Ehrenbfirger mancher ,Universitaten,; der Mann vom Orden Pour le Write des Objekt vieler Ehrtmien geworden. Die Reichsmusikkammer sandte ein Telegranun mit zwei Dutzend Worten, der Fiihrer und Reichskanzler sein Bild, in Silber gerahmt and eigenhandig gewidmet, der Reichsminister Goebbels einen Dirigentenstab aus Gold und Elfenbein and des Philharmonisehe Orchester das Faksiniile) der. V. Beethoven. wilt. zweifeln _ nicht, welchea Geschenk den Ehrenplatz in 'seiner Wohining. /Lind welehes jenen in seinem Herzen einnehmen wird. F. a.