7 JULY 1939, Page 20

DEUTSCHLAND - FRANKREICH

[Von einem deutschen Korrespondenten]

EINMAL, fast klingt es wie ein Marchen, waren Deutschland und Frankreich eine Einheit. Das war aber vor elfhundert Jahren. Der unglficldiche Vertrag von Verdun zerriss das Erbe Karls des Grossen and seit dieser Zeit ist der Bruch, der unseren Kontinent in jahrtausendlanges Elend sttirzte, nicht verheilt.

Vor hundertfiinfzig Jahren wurde von der grossen franzosi- schen Revolution der Versuch gemacht, die immanenten Ideale der Menschheit, namlich Freiheit, Gleichheit, Briiderlichkeit, auf dieser unserer Erde zu verwirklichen. Der Versuch ist gescheitert, er musste scheitern, weil die Menschen, jahr- hundertelang in den Banden der Sklaverei and Metaphysik gehalten und bewusst dun= und feig gemacht, noch nicht reif waren. Aber seit diesem Tag hat die bis dahin stumme Mensch- heit ihre Sprache gefunden und ihre Stimme ist nicht wieder erstickt worden. Goethes Wort " Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und Ihr konnt sagen, Ihr seid dabei gewesen " ist und bleibt das unvergessliche Motto jener Zeit, deren Geburtstag der 54. Juli 1789 war.

Die Welt wird nie vergessen, was sie den Mannern und Frauen der Aufklarung, der Bastille and der Menschenrechte verdankte. Seit der Erklarung der Menschenrechte vom 26. August 1789 mit dem Donnerwort " Alle Menschen sind von Geburt frei und haben gleiche Rechte " ist die Zeit der leiblichen und geistigen Sklaverei fur immer vorbei. Wenn dem Achtzigtnillionen-Volk der Deutschen heute ein Knebel zwischen die Zahne gestossen ist, urn die Stimme der Freiheit zu unterdriicken, so weiss doch jeder, dass sich diese Stimme nicht fur immer tmterdrficken lasst.

Der Strom der franzosischen Revolution war kein nationaler ; er wurde von den Fliissen vieler Lander gespeist. Das Pentagramm am Himmel Frankreich's : Voltaire, Rous- seau, Danton, Marat, Robespierre, wusste, was man den grossen Kopfen, den Sternen aus anderen Landers, den Hol- bach, Hume, Kant, Leibniz, Spinoza zu danken hatte. Die erste grosse Revolution der Menschheit raumte such zum ersten Male mit dem Aberglauben auf, dass es nationale Erhebungen geben Winne. Eine Umwalzung muss inter- national sein oder sie wird keine Umwalzung sein.

Diesen Grundgedanken der franzosischen Revolution ergriffen und begriffen die Besten unter den Deutschen sofort. Sie alle, Beethoven und Goethe, Schiller und Mozart, Haydn und Wieland, Kant, Humboldt, Klopstock, Holderlin, Fichte und Herder, sie waren Bejaher und Propheten der Manner von 1789. Ihr Einfluss wirkt sich in hunderten von Briefen, Gedanken, Gedichten, Zitaten aus. Die Ideen der Menschen- liebe und der Menschenwiirde wurden lebendig in den Dramen Lessings wie in den Opern Mozarts. Sie formten mit Kant's " Zum ewigen Frieden " wie Beethovens Eroika. Sie sogen und zogen die besten Manner Deutschlands korperlich und geistig in ihren Bann, von Forster und Buchner fiber Heine and Borne zu Heinrich und Thomas Mann.

Das vielverspottete Licht der Freiheit, das auf den Altaren der Vernunft entzundet wurde, es hat in den hundertfiinfzig Jahren seines Leuchtens—manchmal schwelend and rauchend zwar, aber doch immer brennend—vielen and den besten Deutschen die Nacht ihres Daseins erhellt.

Wie unendlich viel verdankt dieses bessere Deutschland dem Geist Frankreichs und seiner grossen Revolution. Was ware die deutsche moderne Literatur ohne den Einfluss von Stendhal, den noch der alte Goethe liebte, von Balzac, Flaubert, Zola! Was ware die deutsche modeme Kunst, der Expressionismus, ohne die Manet, Cezanne, Monet, Renoir, Rodin! Was ware die deutsche Philosophic ohne Descartes und Bergson! Und was ware Herr Hitler and Herr Rosenberg ohne Gobineau and Le Bon!

Die Menschenrechte sind wieder bedroht und kein Volk der Erde weiss dieses besser als jenes, das sie tins gab. Die Schatze der Demokratie, bewundert viel und viel gescholten, sind noch da and leuchten auch unter dem Staub, der sich auf ihnen sammelte. Aber noch ist Gefahr, class sie vom Stechschritte der Reaktion zerstampft werden. Noch ist der alte Vater Rhein nicht Europas Strom, aber Europas Bruch- linie. Soll es je einmal, und vielleicht sogar zu unseren Lebzeiten, so etwas wie ein friedliches und gliickliches Europa geben, dann wird, claim muss es ruhen auf den ewigen Fundamenten der Menschheit, auf Freiheit, Gleichheit, Briiderlichkeid