Kindertheater
[Von einem Deutschen Korrespondenten]
KINDER sind das dankbarste Publikum der Welt. Sie bringen mit sich zwei ffir das Theater wesentlichc Dinge, namlich die Begeisterung der Jugend und die Illusion der Naivitiit. Mit der Kraft ihrer ganzen noch unverbrauchten und unverdor- benen Einbildtmgsfahigkeit sind sic fithig, die Dinge da oben auf der Biihne mit ihren eigenen Tritumen und Wiinschen so zu identifizieren, dass ihr Genuss ein restloser wird. Dabei sind Kinder als Theaterbesucher kritisch in ihrer Art und haben einen gesunden Sinn filr das Gute und Echte wie gegen das Verlogene und den Kitsch. Vide Dichter, Regisseure und Schauspicier haben immer wieder erklart, dass ihnen .cias Arbeiten ffir ein Kinderpublikum die grosste Freude bereitet. Und das ist nur allzu verstilndlich.
Ftir Kinder ist Weihnachten die grosse Theaterzeit. Denn viele Eltern und Erzieher sind leider noel' immer der Meinung. dass nur in dieser ffir Feste und Genitit aufgelockerten Zeit die Kinder ein Theater besuchen sollen. Es regt sie zu sehr auf, mcinen dicse Erzieher, die aber sonst denselben Kindern wahrend des ganzen Jahres unbedenklich den Besuch des fibelsten Iiinoschundes gestatten. Die Kinder, die heute mit der ganzen Tcchnik des Kino und Radio vcrtraut sind, bleiben den dort vermittelten Erlebnissen bereits abgestumpft gegenfiber. Die Scheinwelt des Theaters aber wird ihnen nach wie vor zum Erlebnis.
In sechs Berliner Theatern werden heute Marchenspiele aufgefiihrt. Und zwar mit einem so grossen Erfolg, dass mehrere Theater nicht nur am Nachmittag fiir Kinder .spielen, sondem auch die Kinderstiicke, auf den Abendspielplan gcsctzt haben. Allgemcin wird festgestellt, dass in diesen Kindervorstellungen mehr Erwachsene als Kinder anwesend sind. Ob die " grossen " Leute das Kindertheater nur benutzen, um aus dem Druck des Alltagslebens fur ein paar Stunden in die Welt der Miirchen zu fliehen, oder ob sic ihren Genuss, an der unverdorbenen Freude der " kleinen " Leute oben auf der Biihne wie unten im Parterre haben, das ist schwer zu entscheiden.
Aschenbrodel (Cinderella) wird im Rose-Theater gespielt, auf eincr Biihne, die draussen in der Vorstadt abwechsehtd Shakespeare, und das Volksstiick pflegt. Dieses ebenso schane wie moralische Mfirchen wird bier als grosse Ausstattungs- Revue gebracht, mit einer Himmelskonigin, einem Kinder- ballett, und Pctrus als Harlekin. Auch " Goldharchens Himmelfahrt " wird ebenso reich ornamcntiert und effektvoll inszeniert als Marchenspiel fiir Kinder gezeigt.
Hansel und Grelel erleben ihre Abcnteuer in der Volks' °per. Das Mfirchenspiel mit der liebenswfirdigen Musik von Humper- dinek wcndet sich schon mehr an die filteren Kinder, fiir wciche die Musik bereits etwas mehr bedeutet als ein begleit- endes' Geriluseh. Nur das eben hier das schaurig-grausame Marchen zu sehr " veropert " ist.
Kasperle macht seine drolligen Splisse im Schiffbauerdamm- Theater. Diese urdeutsche Figur aus Ocsterreich, ein spitz- biibiger Dummer August and Sancho Pansa in einer Person erscheint hier in diner abenteuerlichen Zauberlandachaft und wirkt stark wie immer.
Kleiner Muck in der Komischen Oper ist ganz auf das tiinzerische gestellt. Hier wirken Kindertanz, Mummen- schanz und Volkstanz in frOhlicher Dreifaltigkeit zu einem Akkord aus Farbe und Beivegung zusammen.
Peterchens Mondfahrt, die im Saarland-Theater stattfindet, 1st eine Art deutseher Peter Pan. Das Stuck erfreut sich seit Jahren der unverminderten Beliebtheit der Berliner Jugend. In dieser Auffiihrung ist das Marchenspiel stark auf dai Ironische und Parodistische eingestellt, was sigh be- sonders beim Milchstrassenmarm and der Blitzhexe sogar etwas gesellschaftskritisch ausvrirkt.
Schneewittchen schliesslich in der Komlidie wird von sieben richtigen Lilliputanern, natfirlich rein arischen, aufgenommen und betreut. Zu dem alten Spiel tritt als Shakespearischer Narr der Schalk Hoppdiquax, der die Rolle des Konferencier mit Witz und Geschmack spielt, und in den Pausen die Kinder zum Mitspielen bringt. ' •
Und wer schliesslich eirunal diese Kinder mit glanzenden Wang. en und blitzenden Augen aus einem Kinderthcater kornmen sah, der weiss, dass es in unserer illusionslosen Zeit irgendwo noch so etwas wie Verzauberung and Verklarung