16 MARCH 1934, Page 13

Berufsnot der Jugend

[VON EINEM DEUTSCHEN KORRESPONDENTEN]

wenigen Wochen massen sich Zehntausende von I, jungen Menschen in Deutschland entscheiden, wel- ellen Beruf sie ergreifen wollen. Trotz aller Gesetze, Massnahmen und Verspreehungen der Regierung wird es kaum moglich sein, such nur einen Bruchteil dieser Jungen irgendwo unterzubringen. Die Einfahrung des Arbeitsdienstes, der schon langst nicht mehr ein frci- williger ist, erleichtert die Schwierigkeiten auch nicht. Dents die Not der Jugend wird durch ihnnicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben. Um die fiberfallten und mit akademisehen " Menschen-Material " verstopften Hochschulen zu entlasten, hat man die Prilfungen wie die Aufnahmsbedingungen sehr erschwert. Trotzdeni haben die Zahesten noch nicht alle Hoffnungen aufgegeben und wollen sich mit dem Optimismus der Achzehnjah- rigen sehon irgendwie durchschlagen.

Eine Rundfrage an ciner Berliner Mittelschule gibt interessante Einzclheiten, die wohl auch far andere ahnliche Anstalten typisch sind.

Der Klassenerste, Primus genamit, will Jurist wcrden. Er meint vollkommen freimiitig, class er im Falle der Nichtzulassung an ciner deutschen Ilochschule ins Ausland gehen wurde.

Ein anderer kann durch Beziehungen als Tierarzt bei der Reichswehr unterkommen ; jetzt versucht cr mit alien Mitteln, an die Hochschule zu kommen, denn ohnc Universitats-Studium geht es nicht einmal als Reichswehrtierarzt.

EM dritter, der iibrigens der bcste Turner in seiner Klasse ist, will trotzdem einen geistigen Beruf wahlen und zwar soli es Philologie sein.

Wieder ein anderer will Flieger werden. Er weiss zwar noch nicht, ob er Konstrukteur, Segelflieger oder Motorflieger werden will, auf alle Falle aber trachtet er in der Technik unterzukommen.

Der Musiker der Klassc will auf die Musikhochschule. Geht das nicht, so will er in eine Kapelle eintrcten.

Ein Beamtensohn schwankt noch zveischen Auswartigen Amt and Lagerfuhrer in einem Arbeitslager.

Das Interesse fur das Arbeitslager Oberhaupt ist ein geteiltes. Manche sehen es als Abwechslung an, andere wieder als notwendiges Einer will nach dem Arbeitsdienst zu seinem Onkel nach Spanien, ein anderer will als Kaufmann ins Ausland, ein dritter hat Bezie- hungen zur Schwerindustrie und will es dort versuchen, ein vierter will etwas praktisch-wissenschaftliches und studiert Zahntechnik. Aber andere wieder zucken mit den Schultern und lehnen es ab, Plane zu machen.

Von der Politik wollen sie nichts wissen, diese Jungen. Sie sind sehr Michtern und praktiseh und hasscn die Phrase. So kann man feststellen, dass der Jahrgang 1934 mit mehr-Zweifel als Hoffnung in ein Leben hinaus- tritt, das sorgenvoll und triibe ist.

Wenn man bedenkt, dass dies die Bliite der Nation ist, vom Schicksal oder dem Geldbcutel der Eltern bevorzugt, damn kann man erst ermessen, wciche Gefiihle jene Jungen haben massen, die selion mit 14 Jahren ins Leben geschleudert werden und fur die keine Beziehungen und keine Berufungen sorgen. Die Millionenarmee arbeitsloser Jugendlicher, die von Tag zu Tag wachst und eines Tages marschicren wird.

Wohin ?