18 MARCH 1938, Page 16

A.E.I.O.U.

[Von einem deutschen Korrespondentenj

AUF der Schulbank lag das Heft und wir schrieben, die jiingsten Burger des stolzen Gymnasiums, die geheimnisvollen Buch- staben nieder, darunter, schreibend, lesend und iibersetzerid die. Deutungen :

Austria erit in orbe ultima. (Osterreich wird bis zum Weltende bestehen.) Austriae est imperare orbi universo. (Alles Erdreich ist Osterreich untertan.) Austria et imperium optima unita. (Osterreich und das Reich bestens vereint.) Aller Ehren ist Osterreich voll. . . .

Auf der Schultafel hing die Karte von diesem Osterreich, die deutschen Lander mit himbeerroter Farbe bemalt, die ungarischen Lander spinatgriin, Galizien war zitronengelb, Bosnien und die Herzogowina tabakbraun. Dann wanderte der Stab des Lehrers fiber andere Lander Europas. Oft blieb der Stab stehen, zeigte auf Belgien, Burgund, Italien, Schlesien, Spanien. Das hatte eirunal dazu gehort, erhandelt, erheiratet, erobert, ererbt, erschlichen. Bella gerant alii ! to felix Austria, nube ! (Kriege ffthren lass die anderen ! Du glikkliches Osterreich, heirate !) So dichtete Matthias Corvinus am Ausgang des Mittelalters. Das Schulfenster stand welt offen, es war ein Friihlingstag, draussen spielte ein Leiermann einen der Deutschen Tanze von Schubert und von ferne griisste der Kahlenberg. Es war Friede, es gab keine Bombenflieger, keine Tanks, kein Rundfunkgebriill, keing; Sorgen. Es war der Friede, der letzte. Tu felix Austria . . . Ist das alles vorftber ? Fur immer ? . . . in orbe ultima . ? Wie viele haben fiber Osterreich gesprochen und geschrieben, —und wie wenige haben es wirklich gekannt. Die Fremden kamen, sahen und liebten theses Land and these Stadt : den Glanz der Theater, Konzerte, Gallerien, Palaste, die Schonheit der Landschaft und seiner Musik, das Lied Haydns, Mozarts, Schuberts, das Spiel Raimunds, Nestroys, Sonnenthals, Girardis, die sozialen Einrichtungen, die Anlagen und Wohn- blocks, den Prater, die alte und neue Kultur, den Zauber Wiens . . .

"Und willst Du nicht mein Bruder sein, so schlag' ich Dir den Schadel ein! "

Sie verstanden, warum theses Wien die " Briider aus dem Reich " immer wieder anzog and festhielt, von Gluck, Beethoven und Brahms zu Hebbel und Wassermann. Aber sie merkten kaum jene aufopfemde, gewissenhafte und verantwortungs- bewusste Arbeit, die eine neue Generation an der Jahr- hundertwende begonnen hatte, den Kampf gegen die Dummheit, die Geniigsamkeit. Sie jubelten Gustav Mahler zu, aber sie wussten nichts von seinem aufreibenden Kampf hinter den Kulissen gegen die Tradition der " Schlaniperei."

Sie bewunderten die Krankenhauser, aber sie ahnten kaum etwas von den Schwierigkeiten, die das " System " den Billroth, Tandler, Wagner-Jauregg, U.S .W., bereitete. Sie sahen nicht die Arbeit, mit der Freud und seine Freunde unser Weltbild zu verandem begannen. Sie horten nicht die Symphonien Bruckners und Mahlers, die Anfange Schonbergs und Alban Bergs, sie sahen nicht die Bilder Gustav Klimts und Oskar Kokoschkas, sie lasen nicht die Gedichte Georg Trakls, nicht die Skizzen Peter Altenbergs, sie wussten nichts von dem Kampf, den ein Einzehner, Karl ICraits, in seiner " Fackel " gegen Justiz, Presse und Unkultur, gegen die ersten Vorboten der Barbarei fiihrte. Alles umsonst ? . . .

Heute kommen die " Befreier," die Bringer einer wahren, namlich " arischen " Kultur mit Bombenwerfern, Fliegern, Tanks urd Kanonen. Sie kommen, um fiir Ruhe und Ordnung zu sorgen. Dass these jungen 3o oder too.oco Deutschen, bewaffnet bis an die Zahne, bereit sirld, in ein Land einzubrcchen, in dem such ihre Sprache gesprochen wird, dass die Wiener Arbeiter, die besten der Welt, nicht bereit sind, diese Kulturbringer mit den Mitteln der passiven Resistenz wfirdig und wirkungsvoll zu begriissen, dass der Bischof von Rom nicht bereit ist, die ihm unterstehenden Friedensbrecher Europas mit dem grossen Bann zu belegen, das gehort mit zu den grossen Wundem unsrer Zeit.

" Doch du bist noch, o Wien ! Noch ragt zum Himmel dein Turin auf. Und so wirst du bestchn' was auch die Zukunft dir bringt. Sieh, es dammert der Abend, doch morgen flammt wieder das Fruhrot—, und bei femem Gelaut' segnet dich jetzt dein Poet." (F. v. Saar, Wiener Elegien . . .)