1 OCTOBER 1937, Page 16

GROSSTADTSIEDLUNGEN

[Von einem deutschen KorrespondentenL.

Am Rande der Grosstadt, wo dieser larmende and ewig wach- sende Organismus sich langsarn an die Landschaft, verliert, werden Siedlungen gebaut. Fast jede deutsche Grosstadt umgibt sich auf diese Weise mit einem Giirtel von kleinen schmucken Einfamilienhausem, in denen ein Tell der Arbeits- losenarmee angesiedelt wurde. Es war das Bestreben des Deutschen Reiches, der neuen Zeit Rechnung zu tragen, den Kern der Stadte fiir Geschafts-, Industrie-und Verwaltungs- zwecke auszubauen, die Menschen aber am den Slums and Hohlen der Innenstadt herauszunehmen and sie in eine Umgebung mit mehr Licht and Luft._zu verpflanzen. Heute gibt es bereits mehr als hunderttausend solcher Siedlungs- Stellen. Von diesen werden viele von kinderreichen Familien bewohnt. Man kann daher annehmen, dass Millionen von Menschen von diesem Siedlungsprogramm erfasst wurden.

Der Gedanke dieser Siedlungen stammt wie das meiste im Dritten Reich am der Zeit der Weimarer Republik. Im Jahre 1931 wurde durch die dritte Notverordnung ein Gesetz- fiir Erwerbslosensiedlungen geschaffen and bis zum Ausbrtich des Dritten Reiches etwa 80.000 Siedlerstellen eingerichtet. Damals legte man Wert darauf, dass wenigstens ein Teil des Siedlerpaares vom Lande stammte. Denn eine bauerliche Tradition erleichterte natal-lick den Umzug von der Grosstadt auf das flache Land. Manchen Menschen fiel der Abschied von der Grosstadt schwer. Man trennt sich nur ungern von seinem gewohnten Heim, wenn es auch bereits mehr einem verwohnten Slum gleicht. Aber das Gedeihen der Kinder, die Selbstversorgung der Famine mit Gemiise, Kartoffeln, Obst and dergleichen gibt den Stadtmenschen doch bald so etwas wie eine Genugtuung. So kann man heute feststellen, dass sich der Gedanke der Siedlung bewahrt hat and dass er al mahlich Unmet mehr Menschenmassen ergreift.

Die Kosten einer solchen Siedlungsstatte sired niedrig, sie werden selten eine Grenze von 3.000 Mark iiberschreiten. 50o Mark warden dem Siedler als Arbeits-Kapital angerechnet, so hoch wurde also seiner Halide Arbeit bewertet. Den Rest gab das Reich als Darlehen zur Verffigung, gegen 4% Zinsen and Tilgung. Die Pacht des Bodens betragt selten mehr als 4 Pfennige pro Quadratmeter. So konnte man den Betrag der monatlichen Belastung fiir Haus and Land auf etwa is Mark fixieren. Da die Siedlungen durchaus gedeihen, and die Zahl der " Konkurse " oder Verkaufe sehr niedrig ist, kann man dieses Experiment als gegliickt betrachten.

Dir Form der Siedlung erfordert, class der eine Partner eines solchen Siedlerpaares zuhaus bleiben muss. Findet der Mann wieder Arbeit, so muss sich die Frau urn Haus, Stall,.Garten and Kinder kiimmern. Garten and Stall liefern der Familie bald ein gewisses Ernahrungsminimum, so das auch die Lebenskosten sehr gering bleiben. In Berlin.werden den Sied- lem durchschnittlich Hauschen mit zwei ,Stuben, Kiiche, Stall, Mansarde geliefert, dazu Licht-und Wasser-Anschluss, fewer Einzilumung and Weganlagen and schliesslich das eigentliche Siedler-Material, `naml.ich fiinf Hiihner, elf Obst- baume, Beerenstriiucher, Gieskanne, Harke, Torfmull and ein Kubikmeter Diinger. Es ist eben auch hier alles auf das beste organisiert. Spater kann der Siedler noch Land dazu pachten and auch die Siedlung in Erbpacht iibernelunen. Natiirlich legt der Staat besonderen Wert auf die Familien der Kinder- reichen, die sich auf dem Lande ganz antlers entfalten konnen. Das .System der Untermieter, der sogenamiten " Schlafbur- schen " soli moglichst vermieden werden, was sowohi aus sanitaren wie aus sittlichen Griinden verstandlich ist.

Im Dritten. Reich .warden die Siedlungen etwas umgestellt. Heute werden die Stammarbeiter .vor den Erwerbslosen bevorzugt.. Der Siedler muss jetzt ein Kapital von moo Mark mitbringen, .Belastung and .Zuschiisse des Reiches rind- eben- falls gestiegen, so warden die Mittellosen von der Siedlungs- moglichkeit ausgeschlossen. Unter den kinderreichen Familien werden jetzt nur noch die " erbgesunden " _berticksichtigr. Sp hat auch der Rassenwahn seinen Einzug mit dem Gockelhahn in den modernen .Grosstadtsiedlungen gehalten, die aber

heute nicht mehr dem Bilde der deutschen Landschaft wegzudenken shad. Inwieweit die Siedlungspolitik des Dritten Reiches neben rassepolitischtn, Erwagungen auch. strategische Gesichtspunkte in Zukunft beriicksichtigen wird, das kann uns erst die weitere Entwicklung der nationalsozialistisehen Wohn-