WANDER NDE KONTINENTE
[Von einem deutschen Korrespondenten] NicHT nur die Menschen und Tiere wandern, einzeln, in Gruppen oder in Volkern. Heute, im Zeitalter des grossen weltumspannenden Verkehres lasst man auch Wohnungen, Hauser, ja Stadte umber wandern. Die Erde ist gross und hat Raum fur alle. Trotzdem findet sich kein Platz fiir eine Gruppe von etwa funfzehn Millionen, die als ewiger Ahasver auch weiterhin " unstet und fliichtig " sein soil.
Aber nicht von den wandernden Juden wollen wir hier sprechen, sondern von den wandernden Kontinenten. Es gibt seit etwa dreissig Jahren eine Theorie, die behauptet, dass alle heute selbststandigen Kontinente, also in erster Linie Amerika, Australien nebst den verschiedenen arktischen und aequatorialen Inselgruppen einmal alle zu jenem eurasischen Massiv gehorten, das wir heute Europa, Asien, Afrika nennen.
Diese Theorie und die bisherigen geologischen Axiome standen sich auf einer Tagung gegeniiber, die vor kurzem im Naturmuseum Senkenberg in Frankfurt stattfand. Der Begriinder der " Kontinent-Verschiebungs "-Theorie ist aller- dings seit einigen Jahren tot. Alfred Wegener, der diese Theorie 1912 entdeckte und unentwegt weiterentwickelte, ist von einer seiner Gronlandexpeditionen nicht wieder zuriick- gekehrt. Aber die Theorie ist mit ihm, dem Geophysiker und Meteorologen, nicht mit untergegangen. Im Gegenteil, sic beschaftigt die Geminer der zunftigen und unzunftigen Geologen mehr denn je.
Was sind die Voraussetzungen einer geologischen Theorie? Der feurige Kern im Erdinnern ist im standigen Erkalten. Ist wieder ein Stuck des Erdinnerns erkaltet, dann entsteht durch die Erschlaffung der Erdrinde eine Schrumpfung. Durch eine solche Schrumpfung aber findet eine Zerbrechung oder Absackung der Erdoberflache statt, Auf diese Weise seien grosse Erdmassen in den Tiefen der Ozeane verschwunden, die bis dahin sozusagen Bnicken zwischen den verschiedenen Kontinenten gebildet hatten; solche untergegangene Briicken seien die Nord-Atlantis, zwischen Europa und Nord-Amerika, und die Siid-Atlantis, zwischen Afrika und Stid-Amerika gewesen. Eine zweite Theorie basierte auf der " Permanenz-Lehre," das heisst auf dem Standpunkt, dass der Ozean eine bestandige Form habe, und dass, wenn es zu Auftauchungen von Land oder seinem Verschwinden kame, es immer nur Flachland oder Flachsee, niemals aber Kontinent oder Tiefsei.
Wegener brachte nun eine neue, eine dritte Theorie, die von manchen sogar als eine Verbindung der beiden friiher genannten Theorien angesehn wurde. Danach geschahe es, dass Kontinente, die unter einer diinnen Schichtgesteinshaut einen dicken Granit-Sockel tragen, manchmal in tiefere Schichten eintauchen. Die Granit-Schicht bedeckt nur Teile der Erdoberflache, sonst bedecken die Ozeane die Unter- schicht. Die Rotation der Erde trieb das Land vom Pol zum Aequator, von Osten nach Westen. Die Landmasse brach auseinander; Australien und Antarktis losten sich im Siiden, Vorderindien von Afrika, die beiden Amerika wanderten nach Westen und wurden so selbststandige Kontinente.
Seitdem zum ersten Male Alfred Wegener seine " Kontinent- Verschiebungs "-Theorie der Offentlichkeit 1912 unterbreitete, hat der Kampf urn diese Lehre die Geologen mehr erhitzt als das brennende Erdinnere. Ein - Bericht der Geologischen Vereinigung stellt die Fronten fest : Die Hollander sind fur Weeners Verschiebungs-Theorie, die Deutschen stehen mehr zu der bisherigen " Atlantis "-Theorie, dass es also friiher zwischen den Kontinenten Brfickenlander, Atlantis, gegeben hatte. Der Konflikt ist nicht auf die Geologic allein beschrankt; Fragen der Biologie, Geographic, Geophysik, Ozeanologie, Palaontologie miissen hier ebenfalls erortert werden. Das gleichzeitige Auftreten bestimmter Pflanzen, Rassen, Tiere wird in ausfiihrlichen Pro und Contras erortert, zu neuen Ergebnissen und Entdeckungen auf chemischen und physikalischen Gebiet muss Stellung genommen werden, kurz, die gesamte Geologic, die Lehre vom festesten in der Welt, vom Gestein, ist in Bewegung geraten.
Wie welt Wegeners Theorien dazu geeignet sind, in Deutsch- land eine Art " Rassische Geologic " zu schaffen, die schliess- lich in der Forderung nach Riickgliederung der abgerutschten Kontinente an das europaische " Reich der Mine " gipfeln wird, das wird wohl erst in den nachsten tausend Jahren des tausendjahrigen Reiches geliist werden.