THEATER
[VON EINEM DEUTSCHEN KORRESPONDENTEN.1 DIE bedeutenden Berliner Theaterkritiker, soweit sie nicht Deutschland freiwillig oder gezwungen vet- lassen haben, machen angesichts der neuen Saison noel) einmal schnell Bilanz.
Der Rtickblick, den sie auf die verflossene Spielzeit werfen, ist kein guter. Naeh einigen Experimenten, zu denen auch die Stfieke des friiheren Expressionisten Halms Johst, wie "Schlageter," "Luther" usw. gehoren, kehrte man schnell zu den alten Klassikem zuriiek, da das Publikum in Scharer aus dem Theater lief. Dann begann der Siegeszug " Jolanthes," eines preisgekronten Schweines, das lebend auf der Biihne spielte, von " Char- leys Tante," einem Verkleidungs-Schwank und von " Altheidelberg," jenem romantischen Studenten-und Prinzenstfick, das Jahrzehnte hindurch die Tranendrasen der alten Semester angeregt hat. Dazwischen wurden, fiir die Fremden und far die Jugend, die Kiassiker gegeben, Goethe, Schiller, Shakespeare, urn so berahmten Schauspielern das Rollenstudium zu ersparen.
In den Ferien waren samtliche Theater bis auf drei geschIoSsen. Hier war aber auch der sehr leicht- geschtirzte Sommergeist zu Gast. Nun hat das Deutsche Kfinstlertheater begonnen. Wo frillier eine moderne Experimentierbiihne war, die unter anderem Eugene O'Neill herausbrachte, treibt jetzt der zur Hahne zuriiek- gekehrte Filmstar Dolly Haas als Seam-polo sein Wesen.
In den Planen der anderen reprasentativen Minim wie Schauspielhaus, Deutsches Theater and Volksbahne herrschen die sogenannten Schauspielerstficke vor. Es wird weniger naeh dem Inhalt der Stacke gefragt als nach der Rolle. Und der Schauspieler beherrscht noch immer Berlin, solange die dramatische Produktion stockt, bemerkt der klagste und wendigste der in Berlin geblie- nen Rezensenten, Herbert Ihering, ebenso anzaglicheb wie melancholisch.
Was wird nun in diesen Tagen dem Berliner Publikum geboten ? " Konig Lear " und " Ein Glas Wasser " im Schauspielhaus, das Staatstheater ist ; " Wie es Euch gefallt " and " Heilige Johanna " im Deutschen Theater ; " Spielereien einer Kaiserin " von Dauthendey im Schillertheater. Also ebensowenig vom Nationalismus wie vom Sozialismus. Alte, elnaviirdige, wohlerprobte Rollenstacke.
Neben diesem SpieIplan sollen, vorerst im Staats- theater und in den Kammerspielen, sogenannte Studios eingerichtet werden, eine Studierbuhne, die von Max Reinhardt seinerzeit errichtet wurde und heute von den Herren Griindgens und Hilpert fur die Not des Theaters nutzbar gemacht werden soil. Man will dort den Kampf gegen die Vernachlassigung der Sprache aufnehmen, sowie zu einer Art Gemeinschaftsarbeit zwischen Dichter und Darsteller kommen. Mit anderea Worten, das Kollektiv der Piscator-Bahnen soil wieder auferstelm. Es soli versucht werden, das Niveau der deutschen Batmen, das im Vorjahr erschreckend tief war, jetzt um jeden Preis zu heben. So will man im Staatstheater Jannings, Kayssler, Klopfer und Krauss nebeneinander beschaftigen. Aber es bleibt abzuwarten, ob diese Anhaufung von Stars auf die Dauer den Konsumenten, das ist das Publikum, befriedigen wird, wean der Stoll und der Inhalt der Spiele zeitIos und unaktuell bleibt. So gelangt die Kritik zu der Skepsis, dass Kunst nicht nur eine Anschauungsfrage, sondern auch eine Personenfrage sei. Eine Fragestellung, die mit Hecht verbbifft.
F. G.