22 JULY 1938, Page 22

NEANDERTALER

Non einem deutschen Korrespondenten] BEt der ErOffoung der Grossen Deutschen Kunstausstellung durch den Fiihrer und Reichskanzler wurde viel vom Neander- taler geredet. Das Ausland hat ein Recht .zu erfahren, was Herr Hitler in seiner Eigerischaft als SchOpfer mad Schirmherr deutscher Kunst &mit meinte. Der Neandertaler ist keine Geldmiinze wie irgend ein anderer Taler. Der Neandertaler ist ein Mensch, der vor einigen tausend Jahren gelebt haben soli, em Mittelding zwischen Menschenaffen und Affenmen- schen. Sein Skelett wurde in einem Tale nahe von Elberfeld im Rheinland gefunden. So nannte man diesen Typ den Neandertalmenschen. Der Fiihrer fiihrte die Bezeichnung Neandertaler'fur die moderne Kunst ein.

Wir spate Nachkommen des Neandertaler wisien wenig von unserem Urahnen ; wir wissen nicht, wie er lebte. Kein Mensch weiss, ob er schon irgendwelche Vorstellungen von -Kuhur ;oder Kunst hatte.

Nur der Fiihrer weiss es. Ihm blieb es vorbe_halten, den " kulturellen Neandertaler " zu erschaffen, einzig zu dem Zwecke, urn ihn aus dem Tempel der Deutschen Kunst auf ewig zu verbannen. Herr Hitler, aufgewachsen in den beicien grossen Kunststadten der deutschen Kultur, namlich in Wien und Miinchen, hatte schon von friihester Jugend einen Drang zur Kunst. Als werclender Architekt und Maler von den Akademien in Wien wegen totaler Unfahigkeit zuriickgewiesen, betatigte er sich sptiter .1cOnStlerisch durch Bemalen von Ansichtskarten. So ist es nur menschlich und verstandlicli, Bass er heute, als unumschrankter Diktator eines Siebzig- millionenvolkes, auch der Kunst, die ihn einmal zuriickstksi, diktieren will. Als die Deutsche Kunst aber nicht so mar- schieren wollte, .wie Herr Hitler kommandierte, als die Kiinstler mit ihren Einsendungen die beiden. Miinchener Ausstellungen, nfimlich die fiir " deutsche "- und die fiir " entartete " Kunst zu verwechseln schienen, kain der Fiihrer• zu einein EntsChluss einen " harten " Strich zu ziehen- nicht als Zeicfmer abet' als Fiihrer—und " die Kunst zu zwingen, den durch die nationalsozialistische Revolution dem neuen deutschen Leben zugewiesenen Weg ebenfalls einztr- halten."

Das Ergebnis ist iiberwaltigend. Von elftausend

sandten Arbeiten der Malerei, Plastik und Graphik sind elfhundert auf—und ausgestellt worden. Fiinfzehnhundert Kiinstler waren nach Mfmchen geeilt, urn dem Fiihrer zu huldigen. Das ganze Alphabet, von Wilhehn Auberlen bis Adolf Ziegler, wurde aufgeboten, urn eine Kunst zu zeigen, die—nach dem Kommando des Fiihreis—" anstiindig und solid " ist. Nicht wie etwas gemalt ist, ist entscheidend, es muss darauf ankommen, was gemalt ist. Und ein Gang durch das Haus der Deutschen Kunst rechtfertigt das Wort des Herrn Goebbels : " Die Menschen schritten zehn-, tausendfach erhobenen Herzens durch die weiten Ratune mit einem wahren Gliicksgefiihl dariiber, dass endlich, endlich nach Jahren furchtbaren Niederbruchs die deutsche Kunst wieder zu rich selbst zuriickgefunden hatte."

Herrn Goebbels, dem Interpreten Hiders, blieb es auch vorbehalten, seinen Fiihrer als Besessenen grit zu charalc-, - terisieren. " Staatsmanner ohne inneres Verhaltnis zur Kunst sind- immer zweitklassig. Die grosse sakulare Erscheinung aber ist von dem damonischen Trieb besessen, sich nicht nur in geschichtlichen Taten, sondern auch in steinernen Bauwerken, die dem Verfall der Jahrhunderte trotzen, zu verewigen." Also doch wieder ein Bekenntnis zur Steinzeitkunst. Es 1st' kein Zufall,. dass gleichzeitig mit der Munchner Sell= eine Steinzeitsiedlung am Bodensee eroffnet wurde. Der homo priniigenius • aus dem Neandtertal triumphiert nber den homo" sapiens unserer Kultur. tinter Ausschaltung • der letzten ' zweitausend Jahre europaischer; alsO vorwiegend chthdicher Kunst, erlebt das Heidentum seine Renaissance. Datum - wurde der " Diskuswerfer " von Myron vom' Fiihrer dem - Lande Bayern geschenkt, wahrend eine lebendige Pallas Athene mit einem Festipruch die deutschen Kiinstler zum. Glauben an den Fiihrer aufrief. Franz Grillparzer, Oster- reichs grosster Dichter, allerdings warnte schon 1856, im Mire der Ausgrabung deS Neandertalmenschen :

" Kunstliebe ohne Kunsinn bringt wenig Gewinn ;

-sie Offnet Kunstschwatzernihr Ohr, - und die Kunst bleibt einsam wie invor.P