24 DECEMBER 1937, Page 16

" Ensi g rosser Kampf der deutschen Gelehrtenwelt gegen einen Despoten,

der seine Geringschiitzung der Wissenschaften hOhnisch zur Schau trug." Dieser Satz stammt merkwOrdiger- weise nicht aus unserer Gegenwart, sondern er ist von dem grossen deutschen Historiker Heinrich von Treitschke, dem wohl niemand die nationale Gesinnung absprechen kann. Er schrieb ihn im Zusammenhang mit jenem Ereignis, das gerade vor hundert Jahren Deutschland auf das hochste erregte. Es war der Fall der " Gottinger Sieben."

Nach dem Tode- des letzten Welfen, der in England und Hannover zugleich regiert hatte, KOnig Wilhelm • IV., im Sdmmer 1837, folgte ihm in Hannover sein Bruder Ernst August, wahrend in England, wo die weibliche Erbfolge galt, seine Nichte Victoria herrschte. Ernst August war im englischen Oberhause der Fiihrer der Hochtorys gewesen und ein Feind jeder liberalen Reformen. Bald kiindigte Hannovers neuer Konig fiir sein Land die Aufhebung der neuen Ver- fassung von 183o und die Wiedereinfiihrung der alten re- aktionaren standischen Verfassung an. Die Beamten wurden wieder zu " kOniglichen Dienern " und ihres friiheren Verfas- sungseides entbunden. So wurden auch die Professoren der Universitat von Gottingen, die damals genau hundert Jahre alt war, aufgefordert, dem neuen Konig den Huldigungseid zu leisten. Nur sieben Professoren der juristischen und philosophischen Fakultat protestierten dagegen. Sie richteten an den Kurator der Universitat ein Schreiben, das besagte, dass sie sich nur an ihren ursprfinglichen Verfassungseid gebunden fiihlten und dass sie den " Huldigungseid " ablehnten. Diese sieben PrOfessoren waren die Historiker Dahlmann und Gervinus, der Jurist Albrecht, der Orientalist Ewald, der Physiker Wilhelm Weber und die Philolog'en Jakob and Wilhelm Grimm. Am 11. Dezember 1837 erschien dann eine kOnigliche Verfiigung, durch welche die Gottinger Sieben ihres Lehramts entsetzt wurden. Drei Professoren, Dahlmann; Gervinus und Jakob Grimm wurde ausserdem befohlen, aus " freiem Antrieb " binnen cirei Tagen das Land zu verlassen, da sie sonst zu einer strengen Untersuchung " an einen_ bestigunten Ort im Konigreich gebracht wiirden." Die Drei zogen auch die, Emigration dem Gefangnis vor und wichen vor dieser koniglichen Erpressung. • Ganz Deutschland geriet in eine ungeheure Aufregtmg. Man nahm filr und gegen die Gottinger Sieben leidenschaftlich Stellung. Nanirlich verteidigten die oberen Beamten, die um ihre Stellungen zitterten, den reaktionaren KOnig, wahrend das Volk fast eimniitig gegen diesen neuen Streich der Metterr, nich-Kreaturen energisch protestierte. Es erschienen diesen Tagen zahllose Flugschriften und die Vertriebenen wurden iiberall, wohin sie kamen, als Martyrer ihrer Ober- zeugung stiinnisch gefeiert. Der Fall der Gottinger. Sieben legte auf akademischen Boden den Grundstein fiir jene Bewegung, die sich ein Dutzend Jahre sparer in ganz Deutsch- land als Revolution and Abrechnung mit der Metternichschen Reaktion organisierte. Weit iiber die aktuelle Bedeutung diesel Protestes von " Mannerstolz vor Fiirstenthronen " hinaus wurde der Fall der gemassregelten Professoren ein machtiger Faktor fiir die politische „Macht des. deutschen Professorentums, die sich bis zur Zeit Bismarcks behauptete.

Zwei ichone Anekdoten kennzeichnen am besten die damalige Situation. Auf der einen Seite, die kuschenden Kollegen der Sieben, am klarsten in der Haltung des •beriihmten Physikers Gauss. Dieser war gezwungen, eine wichtige Arbeit mit dem gemassregelten Wilhelm Weber aufzugeben und machte seinem Arger dariiber mit jenen klassischerr Worten. Luft : " Mein Lieber, wenn Sie einem wfitenden Stier begegnen, wiihrend Sie gerade ein wertvolles- Teleskop in der Hand halten—miissen Sie da unbedingt mit dem teuren Instrument auf das Tier losdreschen ? "—Die• andere Begebenheit wurde von Jakob Grimm erzahlt. Als sich Grimm am 16. Dezember fiber die Grenze ins Hessische, in sein Geburtsland rettete, traf er eine alte Frau, die zu ihrem Enkelkinde sagte Gib dem Herren eine Hand, er ist ein Fliichtling ! • Der " unpolitische " aber feige beriihmte Gauss auf der einen Seite, die unbekannte giitige Frau aus • dem Volke

auf der anderen ihnen sind, bis auf den heutigen Tag, die beiden Elemente deutschen Wesens in wahrhaft klassischer Form enthalten.