25 JUNE 1937, Page 21

- MUSIK IM WESTEN

[Von einem deutschen Korrespondenten] Es scheint ein eigentiimliches soziologisches Gesetz zu when, each dem das Bediirfnis each Musik und Spektakelstiidten in gewissen Landern um so stArker auftritt, je schauriger heute andere Lander sich in Krieg und Biirgerkrieg zerfleischen.

Deutschland liefert bekanntlich alljahrlich schon als mit- teleuropriisches Fremdenverkehrszentrum um die Sonunerszeit ttinen unglaublichen Aufwand an Konzerten und Kongresser.

Aber dieses Jahr scheint es sich ,selb.st .iibertteffen zu wollen. Die Kongresse der Theatedeute in Köln und Dusseldorf, der

Tonktinstler in Darmstadt und Frankfurt, der Touristen in Hamburg, der Techniker in IXisseldorf, sic machen Deutschland zu einem wahren Kongressinien. Dazu kommen noch die zahlreichen Musikfeste, die von dem • Buxtehude-Fest in Liibeck fiber das Stravinsky-Feat in Braunschweig, die Hitlerr jugend-Musikwoche in Weimar, dos Volksmusiktreffen in Karlsruhe, die Deutsche Musikwoche in Stuttgart bis zu dem Bruckner-Fest in Regensburg und auf der Walhalla reichen, auf der der Fiihrer personlich, wenn auch schweigend, erschienen war.

In Mittelpunkt aller dieser xnusikalischen Kongresse steht die 68. Tonkiinstlerversammlung in Darmstadt, auf welcher die Auflosung des Allgemeinen Deutschen Musikvereins beschlossen, aber nicht durchgefiihrt wurde. Dic ehrenwerten Musiker hatten nrimlich einen kleinen " Stay-in-strike " veranstaltet, indem sic zwar zu den zahlreichen musikalischen Darbietungen freudig und freiwillig erschienen, der entschei- denden Sitzung der Abstimmung aber fernblieben und so die Gleichschaltung an Peter Raabes berithmter Reichsmusik- kammer verhinderten. Das allen Deutschen eingeborene Gefiihl der Achttmg vor dem Paragraphen hat diesmal also die AuflOsung verhindert, aber es wird sich wohl noch ein ldeiner Nebenparagraph Emden, der den selbststiindigen Musikem das Handwerk legt. . . .

Der Allgemeine Deutsche Musikverein ist vor rund 75 jahren von Franz Liszt gegriindet worden. Er hatte die Aufgabe, sowohl die grosse deutsche Musiktradition zu pflegen, als auch das Neue zu entdecken und ihm zur Aufffihrung zu verhelfen. Das letzte diesjahrige 68. Musikfest ist auch dieser Doppelaufgabe gerecht geworden, wenn auch der zweite Tell des Programms, Auffiihrung der Moderne, mangels grosserer Qualititten etwas stiefmiitterlich behandelt wurde. Die Kritiker der beiden fiihrenden deutschen Zeitungen, das Berliner Tageblatt und die Frankfurter Zeitung stellen iiberein- stimmend fest, class das Dritte Reich noch kcincn Bruckner oder Mahler, geschweige einen neuen Richard Strauss oder ouch nur einen Pfitzner hervorgebracht Witte. Als bedeu- tendste Lcistung wurde die szenische C.antate " Carmina burana " von Carl Orff genannt, em n Stuck, das ohne Beeinfliissung durch den " Kunstbolschewisten " Stravinsky unmOglich ware. Alle anderen Werke, Orchester-wie Kammer- musik-Werke brachten keine besonders erschiitternden Neuer- scheinungen. Die grosse sinfonische Form brachte tiberhaupt nichts bedeutendes. Der Tag der " festlichen Gebrauchs- musilt " fiel durch ein Gewitter "ins Wasser." So blieberi nur Lieder und Solostticke iibrig, die zwar hervorragend aufgefiihrt wurden, aber dennoch den Mangel an Originalitat nicht verdecken konnten.

Das Tonktinstlerfest wurde mit einem Liszt-Konzert abgeschlossen, das tinter der Stabfiihrung des Reichsmusllt- kammerfiihrers Raabe, in Musikerkreisen wegen seiner organi- satorischen Misserfolge such .der Ungliicks-Rabe genannt, aufgefiihrt wurde und mit dem Chorus mysticus von Goethe schloss. "Das UnzulAngliche, hier wird's Ereignis . .

Liszt und Richard Strauss, der seit der Jahrhundertwende der Prasident des Allgemeinen Deutschen Musikvereines geworden und es bis zur Aera Raabe x935 geblieben war, beide batten als Ziel die " Forderung der Tonkunst im Sinne einer fortschreitenden Entwiddung " aufgestellt und claneben auch die " Wahrung dcr Standesinteressen der Tonktinstler " erstrebt. Heute, im Jahrhundert der Gleichschaltung, wird wohl das organisatorische Prinzip fiber das kiinstlerische triumphieren und dies such schon aus Mangel an kiinstler- ischer Substanz, den zu verschleiem auch nicht zwei Dutzend von noch so gross aufgezogenen Urauffiihrungen imstande sind.

Deutschlands hochstes Kunstgut, seine Musik, ist in Gefahr.