27 NOVEMBER 1936, Page 21

Hausmusik

' [Von einem deutschen-Korrespondentenl

DEL-sSellLAND hat eine grosse Musiktmdition. Von Bach zu Berg rauscht ern gewaltiger Strom, der nie versiegt. Die Qualitat der MusikschOpfer war der Quantitilt der Musikhiirer immer angemessen. Wife, Kirchen, Bfirgerhikuser waren durch die Jahrhunderte die Zentren eines musikalisehen Lebens, die nicht einmal in der Gegenwart vergingen. In dem Festungsviereck der Musik, gebildet von den Residenzen in Bonn, Potsdam, Salzburg, Wien sind such in den sehlimmesten Zeiten Baehs Fugen, Beethovens Symphonies'. Mozarts Quar- tette und Schuberts Lieder nicht verstummt. Deutschland verdankt seinen Ruhm in der Welt mchr Friedrichs Flotenspiel als Friedrichs Feldziigen, so paradox das auch einer feldzugliis- ternen Welt klingen mag.

Zwischen dem produktiven, dens sehOpferischen und dens rezeptiven, dem geniesserischen musikalisehen Mensehen stela der reproduktive, der nachschaffende Kiinstler. Nicht so sehr der Konzertlowe beiderlei Gesehlechts, der uns gegen Entgelt in die Wunderwelt der Musik versetzt, sondem der Amateur, der ira Kreise seiner Familie oder seiner Freundc die edelste Form hauslicher Geselligkeit, die Hausmusik, pflegt. Die Lust am Spiel, am musikalisehen Spiel ist auch in den Tagen der Bridge-und Pingpong-Geselligkeit nicht ausgestorben. Davon zeugt die Pflege der Hausmusik, (lie in Deutschland heute wieder machtig aufbluht.

Zweifellos hat fin I/ritten Reich die Hausmusik einen grossen Aufschwung genommen und es gibt Leute, die in diesem Aufstieg die einzige positive kulturelle Leistung der letzten Jahre erblicken. Die Wiedergeburt der Hausmusik hat in Nazi-Deutschland verschiedenc Ursachen. Die wichtigsten Griinde werden wohl soziologischer und strategischer Natur sein. Auf dens ersten Gebiet ist es der Kult mit dens Mys- tischen, da die Musik wie keine andere Kunst geeignet 1st, in den Menschen jene " Stitnmung " zu erzeugen, die sich von den Noten dieser Welt abwendet und sich jenseits von Alltags- fragen und Tagessorgen ern unwirkliches Reich schafft. Zum Mythos vom Filltrer und vom Fiihrervolk gehiirt such die Welt der Empfindungen und Stimmungen, in der man leicht und gem den Mange! an Nahrungsmitteln vergessen liann. Bach statt Brot, das ist eine propagandistiseh ausserst wirkungsvolle Parole. Und Hitler, der Fiihrer, ist nicht umsonst ein getreuer Gefolgsmann Richard Wagners, jenes typischen Mysterienmusikers.

Aber such auf strategischem Gebiete ist der Befehl : " Zurfick zur Hausmusik ! " eine ausgezeichnete Parole. Sie schafft im Heime der Menschen, am hiluslichen Herd, eine neue Gemeinsehaft. Sie holt die Menschen, mit denen man ausser auf Paraders und in Versammlungen nichts anzufangen weirs, von der Strasse fort ins Haus. Sie giht der Hausfrau, die sich mit dens ihr zugeteilten Revier von Kfiche, Keller, Kochtopf nicht zufrieden geben will, im Kla- vier ern neues und ung,efiffirliches Betatigungsmittel. Darum wird die Hausmusik heute in Deutschland " ganz gross " aufgemaeht. Der " Tag der Hausmusik,- der diesmal in einer etwas unfreiwilligen Ironic auf den Vorabend des Busstages verlegt wurde, wird propagandistiseh erstklassig aufgezogen und gefeiert. - Die grossen Organisationen des politisehen und stfindisehen Lebens haben sich den Tag der Hausmusik zu eigen gess:richt. Die " Reichifrituenfiihrerin " hat angeordnet, dass ern Pflichtabend in alien Ortsgruppen der Frauensehaft der. Hausmusik gewidmet werden muss. Der Reichiserzielnings- minister hat angeordnet, class am 17. November, jede Schuk eine musikalische Feierstunde 'durehzuffifiren habe. Die Reichsmuiikkammer, deren Ffihrer dureh die grossartige

Parole : Keine Angst vor der Symphonic ! " beriihmt wurcle, hat fiberfill hausmusikalische Veranstaltungen exeku- tiert. Die Reichinfinister Goebbels, Seldte, Frick veran- stilteten in ibren eignen rtiittmen Hausmusikabende. Bei Herrn Frick, dessen Hausmusik Brahms gewidmet war, versammelten sich die Spitien des diplomatist-hen und nitional- soiialistischen Korps; Herrn Furtwiingler eingeschlossen.

Der `` Tag der Hausmusik " war, ein grosses geseliscluat- fiches Ereignis., Und. dazu ein grosser politischer Ertblg. Denn schon Semite singt " Wo man singt, da lass dich ruhig

nieder, BOsewichter haben keine Lieder ! " F. G.