SHAKESPEARE-EIN NAZI?
[Von einem deutschen Korrespondenten] MESE FRAGE, so verbliiffend sie far den Auslander, den Nicht- Nazi klingt, stand im Mittelpunkt der II.Shakespeare-Woche, die unter Mitwirkung der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft, des Bochumer Theaters und einiger Literaturhistoriker eben im Ruhrgebiet abgehalten wurde. Die deutschen Freunde des grossten Englanders batten sich zum ersten Male vor genau zehn Jahren zur I.Shakespeare-Woche vereinigt. Es wird wohl nur wenigen Landsleuten des grossen Dichters bekannt sein, dass die Deutsche Shakespeare-Gesellschaft die alteste wissenschaftliche Gesellschaft Deutschlands ist, die 1864, am 300. Geburtstage des Mannes aus Strattford, gegriindet wurde. Ihr President ist gleichzeitig Vorstands- mitglied der Goethe-wie der Dante-Gesellschaft, so dass bier ein geistiger Dreibund besteht, der nicht einrnal in Kriegszeiten versagte.
Bochum, eine Bergwerks-und Eisenstadt im Ruhrgebiet etwa von der Grosse Bristols, hat ein ausgezeichnetes Stadr- theater, das schon fin Zweiten Reich durch seinen Intendanten Dr. Saladin Schmidt beriihmt wurde. Eine der bedeutendsten Leistungen des Bochumer Theaters war der Zyklus von Shakespeares Romer-Dramen; mit derten der Leiter der Bochumer Biihne vor allem den Politiker Shakespeare, seine Stellung zu Demokratie und Diktatur, aufhellen woflte. Es ist daher kein Wunder, dass die heute gleichgeschaltete Shakespeare-Gesellschaft gerade diesen Zyklus, umrahmt von .einigen nationalsozialistischen Werbevortragen, in den Mittelpunkt der Shakespeare-Woche stellte.
Deutschlands Dichter-Triumvirat, Lessing, Goethe, Schiller, haben die Annektienmg des " grossen Williams " zum deutschen Klassiker eingeleitet, Schlegel und Tieck haben sie durch ihre heute noch unerreichte ebersetzung fortgeffilut, das Dritte Reich hat sie vollendet. In seiner Festrede erldarte der Reichsdramaturg Dr. Rainer Schlosser, dass die Tugenden des politischen Menschen, namlich Entschlossenheit, Mut, Treue, Verannvortung bei Shakespeare zu ethischen Wirk- lichkeiten werden ; fiir ihn ist der grosse Brite vor allem der Dramatiker des Politischen. Shakespeare habe alle Person- lichkeiten der Weltgeschichte zu Finglaridern nobilitiert, man konne bei ihm von einer intellektuellen Empireforrnimg reden. Daher gehoren bei ihm Kunst und Politik eng zusammen, eine Link, die erst im Dritten Reiche im Schatten Shakespeares zur Leitlinie der dramatischen Kultur gemacht wurde.
Es zeugt von einem fast genialen Instinkt dieser neudeutschen Shakespeare-Epigonen, gerade jetzt mit den Romer-Dramen, die als geschlossener Zyklus gegeberi wurden, herauszukonnnen. Die Begeisterung fur das klassische Rom, fiir welches heute den Deutschen der Herr Mussolini ein gottahnliches Symbol wurde, geht konform mit dem Hass gegen das katholische Rom, das mit den fast heidnischen Hassorgien des jungen William. nie etwas an7id'angen wusste. So viel Blut, wie .urn die " Fiihrer " des alten Rom bei Shakespeare auf romischen und heidnischen Bodes,. verspritzt wurde in jenen damonischen Anfaillen von Massen-und Rassenwahn, es muss heute den neudeutschen Anhangern der Phrase von " Blut und Roden " gut in ihre Politik passer'. Die Vergottung des " Fiihrers," die Verachtung der Masse, diese ungeheuren Krimpfe von Blutrausch, die das Werk des jungen William durchkiehen,- die Grausamkeiten im " Titus Andronikus," " Coriolan," " Julius Cesar," " Amonius und Kleopatra " sind Blut auf der Miihle des Dritten Reiches.. Der Warnungsruf des Wahrsagers " Nimm vor des. Manes Iden Dich in Acht 1" verhallt wirkungslos.
Neben diesen Blutdramen warden noch einige Reden der Professoren Deutschbein, Keller and Schirmer dargeboten, die am Gesamtbflde nichts andern konrtten. Eine Ausstellung " Shakespeare auf der deutschen Biihne " zeigte interessantes Material aus dem Kolner Theater-Museum des Professors Niessen. Urn den vielleicht doch zu schaurigen mid traurigen Gesamteindruck der Woche etwas abzuschveachen, wurden als Prolog Verdis " Falstaff " und als Epilog " Die lustigen Welber von- Windsor " aufgefiihrt. Wit waren gliicklich, wenn des guten Sir John frolaliche Altersweisheit " Alles ist Spass auf Erden " auf die Dauer die dtistere -Diktatoreniragli der heidnischen Romer such in drier imgewissen Zultunft verldaren wurde.