31 MARCH 1939, Page 20

BRUNN

[Von einem deutschen Korrespondenten] JEDERMANN kennt wohl Prag, die Herzstadt Europas, mit seiner altesten deutschen Universitat und jilngsten deutschen

Garnison die Stadt des Golem und des hohen Rabbi Low, die Heimat des Feldmarschall Wallenstein und des braven Soldaten Schwejk. Nicht jeder kennt aber Briinn, die zweit- grOsste Stadt des Landes, das einst Czechoslovakei hiess. Dieses Brunn, auch Brno genannt, ist eine Stadt mit einer so reichen Kultur und Tradition, dass ein Nekrolog auf sie heutc mehr als ein Akt blosser Pietat ist.

Briinn, ein Verkehrszentrum zwischen dem Westen und dem Balkan, hat in Handel und Wandel der Geschichte eine grosse Rolle gespielt. Auf der Burg sassen die Finsten und Markgrafen von Mahren vor tausend Jahren. Von hier zog Ottokar von Bohmen dem Kaiser Rudolf von Habsburg entgegen, urn im nahen Marchfeld gegen diesen Krone und Leben zu verlieren. Vor Briinn erschopfte sich die schwedische Armee unter Torstenson im Dreissigjahrigen Krieg. Im schlesischen Erbfolgekrieg war Briinn die einzige Festung in Mahren, die den Preussen stand gehalten hatte. Nahe bei Briinn siegte Napoleon fiber die vereinigten °ester- reicher und Russen in der Schlacht von Austerlitz. Viel Leid und Triinen hat die Burg von Briinn, die spater Spielberg hiess, gesehen. Fast ein halbes Jahrtausend lang war dieser Spiel- berg eines der schrecklichsten Geffingnisse der Welt, in dem bohmische Fursten, ungarische Grafen, osterreichische Feld- herren, preussische Offiziere, franzosische Postmeister, pol- nische Adelige, italienische Dichter and noch viele andere in unterirdischen Verliessen bei Wasser und Brot in nassen Kel- lerlochern gefangen gehalten wurden und zum Teile langsam und qualvoll dahinstarben. Wer die Kasematten des Spiel- berges mit ihrer Grabesluft einmal schaudernd erlebt hat, der hat erfahren, mit welcher Bestialiffit der Mensch andere Men- schen qualen kann, wenn ihm die Macht dazu gegeben ist.

Aber die schnell lebende und noch schneller vergessende Menschheit hat aus der Geschichte dieses Berggrabes nichts gelernt. Bis vor kurzem exerzierten hier noch Soldaten von zwei Bataillonen der tschechoslovakischen Aimee. Und heute spielen wohl schon wieder die Kinder Brfinns auf diesem idealen Spielgelande das beriihmteste Spiel der Jugend " Rauber und Gendarmen." Denn Rauber wird es wohl immer geben und auch an Gendarmen hat die Welt genug. Briinn ist eine schtine und fleissige Stadt. Wundervolle alte Palaste gibt es hier. Renaissance und Barock bildeten sich hier zu einem eigenartigen neuen Baustil aus. Da gibt es ein altes Rathaus mit dem beriihmten Krokodil unter dem Eingangstor.

Beim Landhaus befindet sich ein Kunstgewerbemuseum. Nahe am Petersdom steht das Landesmuseum mit seinen weltberuhmten Schatzen aus praehistorischer Zeit. Am steilen Westabhang des Spielberges erhebt sich das uralte Konigskloster, in dem der Abt Gregor Mendel seine

Abstammungslehre entwickelte. Auf dem Krautmarkt, wo die Bauerinnen am der Umgebung ihre Waren, Butter, Eier, Geflugel, Gemiise, Thpfereien u.s.w. feilhalten, erhebt sich der " Parnass," ein stauncher Barock-Brunnen.

Ein ausgezeichnetes Theater, in dem abwechselnd deutsch und tschechisch gespielt wurde, fiinf Hochschulen, darunter eine deutsche Technik, dreihundert Fabriken zeugen von dem

kulturellen and industriellen Leben der Stadt, die mit ihrer Viertelmillion Einwohnerschaft oft das " tschechische Man-

chester " genannt wurde. Viele Dichter wurden bier geboren, Hans Flesch, Hans Muller, Richard Schaukal, Otto Soyka. Ernst Weiss ; der grosste tschechische Lyriker Petr Bezruc und der Komponist Leo Janacek lebten hier und erfreuter sich an der schOnen romantischen Umgebung, den Kuhbergen.

Napoleon, Bismarck, Moltke waren Gaste Brunt's, Masaryk hat bier studiert und in den letzten Jahrzehnten war Briinn eine bliahende und reiche Stadt.

Und meine Ahnen lebten bier. Aber nicht nur damn ist das Land zwischen Austerlitz und Rausnitz mir teuer und

unvergesslich. Heute ist es nur eine Bastion der gross- deutschen Expansion. Vielleicht schon bald wird dieses scheme and fruchtbare Land das Fieber der kiinstlichen and krampfhaften Erregungen iiberwunden haben und sich wieder des Friedens seiner gesegneten Landschaft erfreuen.