Leuna unter Fliegerbomben [Von einem deutschen Korrespondenten] " BEI -Leuna
sind vide gefallcn." So begann ein Volkslied, das die mitteldeutschen Arbeiter in den ersten Jahren der deutschen Republik gesungen haben. Das Leunawerk, zwischen Halle und Merseburg, Deutschlands griisstes Stick- stoffwerk, war damals das Zentrum der Kampfe zwischen Arbeiterschaft und Militar-Reaktion, denn sein Besitz bedcu- tete in dem Jahre zwischen Kapp-Putsch und Marz-Aktion die Entscheidung im Kampfe. Heute ist es mu Leuna still geworden. Man kennt und fiirchtet es als eines der grossten Kriegsarsenale der Welt.
In den letzten Augusttagen 1st es um Leuna wieder lebendig geworden. Die " Giftgasbude," wie das Werk in der Gegend genannt wird, stand im Mittelpunkte von Luftmanovern, den bisher grossten in Deutschland. In einem Raum, der von der Ostsee bis zu den Alpen und von Stettin bis Kassel reichte. fand chic " Luftwaffeniibung Mitteldeutsehland," wie sic offiziell genannt wurde, statt.
Ein Krieg 1st ausgebrochen. Die Flicger eines " Roten " Oststaates greifen einen Blauen Mittelstaat an, urn spater den Angriff von einem Griinen Weststaat aus noch einmal zu wiederholen.
Also eine ebenso kfihne wie phantastische Annahme.
Programmassig setzten sich die Roten Fluggcschwader in Bewegung und versuchten, die Flughafen und Industriezentren der Blauen zu vernichten. Die Bomber fliegen auf vier versehie- denen Routen : von Halle nach Hildesheim, von Merseburg nach Minster, von Chemnitz nach Erfurt, von Saalfeld nach Detmold.
Ein wolkenloser Sommerhimmel wolbte sich fiber Angreifer und Verteidiger. Die Angreifer mussten hoch fliegen, die Verteidiger hoch schiessen. Sirenen verkiindeten das Nahen des Feindes. Der Abwurf von Bomben wurde dureh das Abschiessen von Leuchtmketen markiert. Bald leuchtete es fiberall silbern auf. Flak-.Astillerie (Flugzeug-Abwehr- Kanone) versuchte, den Eindringling zu vertreiben.
Halle glich von zwei Uhr nachmittag an einem Riesen- friedhof. Jeder Strassenverkehr ruhte. Alle Fenster waren verhangt. Alle Menschen verkrochen sich in Keller und • Gasschutzraume. Ein Leben in der Unterwelt begann, denn die Oberwelt war ja tot.
Auf dem Schlachtfeld von Rossbach, wo Friedrich die Franzosen schlug, was damals noch ohne Flak und Flieger moglich war, sind verschiedene Flugwachenkommandos eingerichtet, die gegen Sicht von oben kunstvoll verborgen wurden. Hier arbeiteten Manner, die fiir den Wehrmachtdienst nicht in Frage Icemen, im Ernstfall werden das also vermutlich Kranke, Greise, Kriippel, Quaker und Juden sein.
Lsipzig ist vollig verdunkelt. Die Radfahrer mussten ohne Licht fahren. Erst wurde nur eingeschrankte Beleuchtung angeordnet. Aber als spates von dem tief versteckten Flug- wachkommando die Parole " Verdunklung " ausgegeben wurde, erloseh auch das letzte Licht. Da niitzte es auch den braven Sachsen nichts, dass man sic die " hellen " nennt.
Leuna selbst, sonst such zur Nachtzeit in Lichter gehfillt, 1st jetzt in ein tiefes Dunkel getaueht, aus dem nur ab und zu Scheinwerfer blitzen, Sirenen heulen und Propeller dri:ihnen.
Der lia" mpf dauerte, programmassig, die ganze Nacht.
Selbst der Morgen, der an der " Seale hellem Strande " erwacht, bringt noch keine Entscheidung.
In " Merseburg erwartete ein startbereitcs Jagd-Einsitzer- Geschwacler die Entzifferung der Zaubersprfiche ab, die den Einsatz der Flugzeuge anordnen. Urn Leuna selbst hat die Flak-Artillerie einen " schiitzenden " Ring, gebildet aus Geschfitzen alter Kaliber, gezogen. Auch die Maschinen- gewehrstfirme, die auf einem Wasserwerk postiert sind, beteiligen sich an dem Kanonenkonzert. Der Angriff endete mit dem konzentrierten Sturm alter vier Roten Flugzeugstaffel. Dann war die Schlacht geschlagen.
Wer der Sieger war, das wurde mit Recht nicht bekannt gegeben. Die Veranstalter dieser Maniiver wissen zu gut, dass eine solehe Schlacht im Ernstfall weder Sieger noch Besiegte, und nur Gastod und Zertriimmerung kennt.
So waren die Bomben fiber Leuna trotz des " Roten " Oststaates ffir diesmal nur ein Manover geblieben. Kein normaler Mensch auf der weiten Erde kann wunschen, dass je ein Ernstfall aus solehern Spiel entstiinde. F. G.