12 MAY 1939, Page 17

ARIER ALS VEGETARIER

[Von einem deutschen Korrespondenten] ADOLF HITLER soli Vegetarier sein. Falls er es ist, so diirfte ffir ihn der Vegetarier eine Art kategorischer Komparativ zum einfachen oder niederen Arier bedeuten. Auf alle Mille aber ist sein Widerwille, Leichen zu essen, eine der besten Seiten seiner Personlichkeit. Hitler mid Hess werden in der Hier- archie des Nazismus als Lebensreformer betrachtet. Sofem sich das auf eine anstandigere und vemiinftigere Form der Emahrung bezieht, kann man das nur begrfissen.

Aber wie so vieles im Dritten Reich ist auch diese An- gelegenheit etwas zweideutig. Da wird eine grossartige Reichs- Gartenschau in Stuttgart eroffnet. Auf dieser Ausstellung soli der Deutsche zum Selbsterzeuger und Selbstversorger in der Landwirtschaft erzogen werden. Der Garten soil nicht nur ein Blumengarten sein. Als Obstgarten und Gemusegarten soil er ein wichtiptes Glied in jener Kette werden, mit der sich das Dritte Reich von der ubrigen Welt ab-und an eine autarke Kriegswirtschaft anschlicsst. So wird das ethische Bewusstsein der Pfianzenesser mit dem unethischen Prinzip der Kriegshetzer verkuppelt. Aber nicht nur das : zur gleichen Zeit, da in Stuttgart dem vegetarischen Prinzip gehuldigt wird, wird in Hamburg wieder dem barbarischen Moloch geopfert. In ether Ausstellung " Segen des Meeres " werden die Leichenesser des Dritten Reiches ermutigt und angelernt, noch mehr Fett, Fisch und Fleisch als " Segen " des Meeres zu vertilgen. Es wird wohl auf dem Lande noch nicht genug gemordet ; auch die See wird daffir annektiert.

Zur Erlauterung der Nahrungsfragen ein paar Zahlen. Der Verbrauch an Lebensmitteln ist in den letzten Jahren in Deutschland erheblich gestiegen. En paar Ziffem mogen dies zeigen. Der Verbrauch hat sich von 1932 zu 1938 gehoben bei: Butter von 7,5 auf 8,8 Fleisch 48,9 57,7 Gemiise, Obst 88,0 103,0 Mikh 105,0 r12,0 Seefisch 8,5

12,2

Weizemnehl 45,o 55,0 Zucker 19,1 24,3

Kilogramm, beziehungsweise Liter pro Kopf der Bevolkerung. Aus dieser Statistik, zu der man so vigil oder so wenig Ver- trauen haben kann wie man eben mag, geht hervor, dass fur die besseren Arier, die Vegetarier noch manches nbrig bleibt.

Vor etwa achtzig Jahren hat der Leipziger Arzt Daniel Schreber die geniale Idee gehabt, Arbeitereltern zu raten, ausserhalb der Stadt ein Stuck Land zu pachten. Dort konnten die Kinder spielen und ihre Eltem ein wenig Gartenarbeit leisten. Diese Idee ergriff weite Kreise. Heute haben van achtzehn Millionen deutschen Haushaltungen rund sechs Millionen Familien einen eigenen Garten. Die Sicd- lungs-und Gartenstadtbewegung erfasste sehr viele Gruppen des Mittel-und Arbeiterstandes. Was die Pioniere dieses neuen Lebensstiles, die Gustav Landauer, Adolf Loos, Leberecht Mikge, Franz Oppenheimer, Adolf Otto; Bruno Taut, Max Ermers hier geleistet hatten, wird heute zwar totgeschwiegen, cid& aber urn so mehr kopiert. In den etwa vierzig Schrebergarten in der Stuttgarter Gartenschau sind die mannigfaltigsten Formen des Nutzgartens in kleinen Musterbetrieben praktisch vor3efiihrt. Die alte Streitfrage, Nutzgarten oder Ziergarten, scheint nun endgilltig fur den Nutzgarten entschieden zu sein. Es wurde gezeigt, dass man zwar heute bereits 86% des Obst—und 93% des Gemdse- Verbrauches im Inlande erzcuge, dass man aber so rasch als moglich vom Ausland vollig unabhangig sein miisse. Der Riickgang der Gemilse-Anbau':ache infolge mangelnder Arbeitskrafte wurde ebenfalls geriigt und Abhilfe gefordert.

Es wird noch immer vides einlefiihrt : Blumenkohl, Bohnen, Gurken, Salat, Spinat, To:raten, Zwiebeln ; Aepfel, Bananen, Birnen, Mandeln, Orangen, Pfirsiche, Rosinen, Trauben, Zitronen. Der verstarkte Druck nach der Riickgabe von Kolonien soil das bekannte Scherzwort : " Deutsche, esst deutsche Bananen! " wieder zur Wirklichkeit machen.

Die deutsche Gartenschau ist ein Auftakt zum Inter- nationalen Landwirtschaftskongress im nachsten Monat in Dresden. Mogen die vierzig Nationen, die dort zusammen- kommen werden, im Sinne von Schillers Wort " Raum fur alle hat die Erde " mithelfen, um in friedlicher Gemeinschaft Voltaires Mahnung zu erfiillen: " Il faut cultiver notre jardin! "