26 JUNE 1936, Page 16

Goethe—ein Murder ?

[Von einem deutschen Korrespondenten]

DEUTSCHLAND ist seit jeher das Land der Legenden und Miirchen. Das ist kein Wunder bei der sprichwortlichen Vertraumtheit des deutschen Michel, bei seiner Verspieltheit und seinem Drang zur Romantik. Von den grossen und grausamen Gestalten der deutschen Heldensage, von den Konigen und Konigsmiirdern der germanischen und heidnisehen Mythologie bis zu den holden Marchenprinzessinnen der Brilder Grimm und Schlegel spinnt sich ein Reigen vertrauter und erhabener Geschichten.

Nun ist eine neue Sage aufgetaucht ; zur Nibelungen-und Gudrun-Sage ist nun die Goethe-Sage hinzugekommen. Ihr Inhalt ist kurz erzahlt. Danach hat Goethe als Freimaurer im Auftrage internationaler Dunkelmachte die lichte Baldurgestalt Friedrich Schillers heimlich vergiften lassen, um so dem nationalen Schrifttum Deutschlands einen Schlag zu versetzen. Diese Sage wurde zuerst in den Kreisen urn die Familie Ludendorff aufgebracht. Ich selbst habe sie von einem sonst durchaus harmlosen Hamburger; Zigarren- handler bereits drei Jahre vor Ausbruch des Dritten Relates ernsthaft propagieren gehart. Seitdem ist dieses Goethe- Marchen, wie es alien MArchen zu gehen pflegt, weiter ausgebant turd ausgeschnnickt worden. Zu Schiller sind noch, Kleist, Mozart und andere jung verstorbene Genies getreten. Die Mordtaten wurden nicht mehr auf den Herren Geheimrat Goethe beschrankt. Langsam wurden aus dem Weisen von Weimar die Weisen von Zion, jene berahmte Giftmischergilde unarischer Untermenschen, die an jedem Uebel in der Welt

schuld sind. Das im Weltkrieg entstandene Witzwort : " Wer ist am Weltkrieg schuld ? Die Freimaurer, Juden und Radfahrer ! " wurde spates so allgemein erweitert, dass dieses edel Trio nicht nur am Weltkrieg, sondem auch an alien anderen Graueln, vom Bolschesvismus bis zum Katholizismus schuldig wurde und daher spates mit Gottes mid Herrn Hitless Hilfe mit Mann und Ross mid Fahrradern geschlagen wurde.

Die Goethe-Gesellschaft, die im vergangenen Jahre das Fest ihres halbhundertjahrigen Bestandes begehen konnte, hat sick auf ihrer diesjahrigen Tagung mit den obenerwahnten Angriffen gegen Goethe auseinandergesetzt. Der Priisident der Gesellschaft, ein Herr Professor Petersen ausserte sick eingehend zu dem Thema : Ist Goethe ein MOrder ? Trotzdem diese Frage eigentlich etwas verjahrt erscheint, fund Herr Petersen k-raftige Tone gegen die Verleumder Goethes. Die Goethe-Gesellschaft habe ein Werk " Schillers Tod und Bestattung " eines Professors Hecker herausgegeben, das von weiten Kreisen als eine Erlosung empfunden wurde. Wenn die Goethe-Gesellschaft auch sieben Jahre zu den Mordan- klagen gegen Goethe geschwiegen hatte, so miisse sie jetzt dennoch reden. Denn man babe das Schweigen als ein Zeichen der Schwiiehe ausgelegt, wahrend die Goethe-Pro- fessoren ihrerseits die Schmahschriften gegen Goethe wi=der als eine Schmach und Schande fiir die Nation angesehen Witten. Da aber diese Birches in Schulen, Jugendorganisationen und anderen far Schauergeschichten zuganglichen Kreisen burner mehr Fuss fassen und wie ein Gift water fressen, masse man diese " Kloake " schleunigst zudecken.

Damit nach dem Satyrspiel die Tragodie nicht fehle, wurde im Anschluss, daran das Resultat des Preisausschreibens zunt Thema " Goethe und der olyinpische Gedanke " bekannt- gegeben. Von 27 eingegangenen Arbeiten waren nicht weniger als 17 " ernst " zu nehmen ! Davon wurden 7 in die engere Wahl gestalt, und von diesen wieder zwei preisgekrtint. Der eine Preistrager mit dem nicht sehr arischen Vornamen Desider betraehtet Goethes Beziehungen zum antiken olympischen Gedanken als sein, nanilieh Goethes, Lebenselement. Der andere Preistrager, ein Kirchenrat aus Prag hatte das " biographische Material der Leibesiibungen und Goethes eigene Betatig,ung " untersucht. Beide Arbeiten sollen noch rechtzeitig vor der Olympiade veroffentlicht werden. Eine Freude fur vile, die Goethe zwar nicht fiir einen MOrder, aber daffir far einen Leichtathletiker batten. Eire Schmerz aber fiir Gretchen, die ihrem Faust im Olympia- Dorf nur klagen kann " Es thut mir long schon weh,

class ich dick in der Gesellschaft seh. ."

F. G.