21 FEBRUARY 1936, Page 15

Heine

[Von einem deutschen Korrespondenten]

Ars Heinrich Heine, der grosse deutsche Diehter und Schrift- atelier, heute vor achtzig Jahren auf dem Pariser Friedhof Montmartre zu Grabe getragen wurde, folgten seinem San.,re rnehr Franzosen als Deutsche. Fad 'Tiers, der frau- zosische Metternich des Juste milieu, behauptete sogar, dass Monsieur Heine der bedeutendste Diehter Frankreichs in dieser Epoche gewesen sei. Auf der anderen Seite sagte ein Mensehenalter spater Friedrich Nietzsche, dass Heine der einzige deutsche Autor ware, der mit Hun selbst durek die Jahrtausende wandeln wurde. Heute aber, ist Heine in • . semem Vaterlande tot und vergesseu, seine Denk- miller sind abgetragen und seine Werke werden weder ncu gedruckt noch in den Bibliotheken Wer war dieser Mann, dessen Charakterbild, von der Par- teien Gunst und Hass verwirrt, so in der Geschichte schwankt. Heinrich Heine wurde an der Grenze von zwei Nationen, Religionen mid Generationen geboren. Er selbst nannte skis den ersten Mann eines neuen Jahrhunderts. Aber dies war nur einer seiner vielen Witze. Er crblickte nicht in der Neujahrsnaeht des neunzehnten Jahrhunderts das Licht dieser Welt, sondern schon drei Jahre frillier. In Diisseldorf geboren, war er ein Kind des Rheines, der wiihrend der Sehulzeit des Knaben ein franzosischer Muss war. So war der jungc Heine Franzose. Als er aLs Dreissigjiihriger sein Vaterland vcrliess, urn sich in einer freiwilligen Emigration fiir i lllll ier nach Frankreich zu begeben, blieb er denitoch his an seiu Lebensende ein Deutscher. Anders war seine religiose Ent- wicklung. Heine, der als Jude geboren wurde, verlebte seine Kindheit nosh im Ghetto, das erst durch Napoleon int Rhein- land beseitigt wurde. Als der junge Diehter aber schen musste, dass ihm als Judcn jede Entwicklung in Deutschland unmoglich gemacht wurde, da nahm er das " Eintrittsbillet in die curopiiische Kultur," die Taufe an. Und als ihn schliesslich sein ewig unruhiger und vorwiirtsdriingender Geist in einen scharfen Gegensatz zur Beaktion brachte, als seine Schriften zensuriert und schliesslich verboten wurden, da tat er bewusst den dritten Schritt seiner Wandlung. Aus dem Heine des " Buches der Lieder wurde der Heine des " Salon." Der Dichter and Lyriker starb, urn als Pamphlet 1st und Journalist aufzuerstehen. Man kann kaum diesem einzig- artigen und eigenartigen Genie gerecht werden, wenn man nicht diese dreifache Wandlung in nationaler, religioser und politischer Hinsicht wiirdigt.

Jahrzehntelang war Heine nur als Lyriker gefeiert. Das BUCill der Lieder ; die Harzreise ; die Nordsee ; Atta Troll ; Deutschland, ein Wintenniirchen und der Romanzero gehorten zur eisernen Ration der Idassischen deutschen Literatur. Erst urn die Jahrhundertwende wurde der andere Heine. der Essayist erkannt. Die verschiedenen Schriften, die er im "Salon" vereinigte, vor allem jene grossartige " Geschichte der Philosophic und Religion in Deutschland," ferner das Buch fiber die romantisehe Schule und jenes fiber fmnzosische Zustande, sic sind bis auf den heutigen Tag ein unentbchrlieher Fiihrer zum Verstiindnis des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts in Deutschland und Frankreich. Deutsche Grinadlichkeit, franzosischer Witz and jialischer Tiefsinn haben sich in diesen blendend geschriebenen Prosawerken zu ether unnachahmlichen Einheit verbunden. An seinem Lebens- abend, nachdem Heine im Revolutionsjahr 1848 einen korperlichen Zusammenbruch erlitt, schuf der Dichter in seinem " Lazarus " noch unvergangliche Wunderwerke deut- scher Dichtung. Nach cinem leidvollen Krankenlager erliiste der Tod den mitten Lazarus nach achtjarigen Leiden.

Heinrich Heine nannte sich einmal selbst einen " braven Soldaten im Befreiungskriege der Menschheit." Als solcher wird der Dichter, der mit alien beriihmten Zcitgenossen seiner Epoche befreundet oder verfeindet war, im Geditchtnis der Menschheit weiterleben und fortwirken. IIatten sich die grossten deutschen Dichter der Gegenwart, Dehmel, Arno Holz, Liliencron, Wedekind und—Gerhart Hauptmann zu ihrer und seiner Ehre zu ihm bekannt, so wird sein Stern, heute durch vortiberziehende Wolken etwas verdunkelt, in der Zukunft urn so heller erstrahlen. Denn Heine, keiner Dich- terschule zugehorig und untertan, weder Klassiker noelt Romantiker, war ein Typ, dem, trots allem, die Zukunft