23 JUNE 1939, Page 17

THEATERWOCHE IN WIEN

[Von einem deutschen Korrespondenten] THEATER nach Wien zu bringen, das bedeutet so viel wie Eulen nach Athen zu tragen. Aber das arme Wien, das schon lange gute Miene zum bosen Spiel machen muss, ist nun auch gezwungen, gute Miene zum schlechten Spiel zu machen, falls dieses vom Schirmherren der Kunst als Importartikel aus dem Altreich herankommandiert wird.

Es gibt in Deutschland neunundfiinzig stiidtische Theater. Diese Theater sind im Dritten Reich zum grOssten Teil Zuschuss-Unternehmen, sic musses bis zu zwei Drittel ihres Etats von offentlichen Mitteln unterhalten werden, urn selbst ihr Publiktun unterhalten zu konnen. Das ist natiirlich ein ungesunder Zustand, der nur beweist, dass die Theater in Deutschland nicht gehen, well die Deutschen nicht in sic hineingehen. Um diesen Zustand zu beheben und zu betnan- teln, veranstaltet Schirmherr Goebbels sogenannte Reichs- theaterfestwochen, deren sechste eben in Wien stattfand.

Die Theaterwoche. in Wien zeigte den ganzen Jammer des heutigen nazistischen Theaterbetriebes in den prunkvollsten Farben. Je grosser die innere Unsicherheit und kulturelle Sterilitat, um so glanzender und gerauschvoller die Aufma- chung. Nach sechs Jahren verschwenderischer Kunstpolitik, strengster Diktatur des Arierparagraphen, nach Verteilung von Dutzenden von Preisen, von Hunderten von Orden und Titeln ist nicht eM Dramatiker in dem Achtzigmillionen-Volk aufzutreiben, den man als den Reprasentanten des Nazi- Theaters in das Rampenlicht der Oeffentlichkeit zu stellen wags. Da man Gerhart Hauptmann nicht immer spielen kann, und Frank Wedekind nicht spielen dart, so bleiben eben nur die Karl-May-Dramen und die Schweine-Schwiinke wie " Krach urn Jolanthe " ubrig, aber auch diese nicht geeignct, von dem Ruhm des heutigen Theaters zu zeugen.

Was bleibt, ist die Klassik. Klassiker sind eben nicht tot zu kriegen. Bei den Klassikern gibt es keine Kassenproblemc. Und beim Theater hat die Kassenfrage eben grosseren Einfluss als die Rassenfrage. Herr Goebbels mach[ aus der Not, keine deutschen Stiicke zu haben, die Tugend, auslandische auf- zuftihren. Er ist gegen eine kulturelle Autarkie und weigert sich daher, den " deutschen Spielplan ganzlich von Shicken englischen oder franzosischen Ursprungs zu reinigen." Das bedeutet, dass das arme Deutschland auch weiterhin mit dem " Schmutz " Shakespeare und Moliere vorlieb nehmen muss! Ach, armer Yorick Deutschland!

Man spielte also Klassiker : Goethe, Schiller, Shakespeare und Nestroy. Und zwar " Faust," " Maria Stuart," " Richard II," und " Einen Jux will er sich machen," eine Zusammen- stellung, fur die man wohl Herm Goebbels unter dem letzt- genannten Titel verantwortlich machen kann. Die Stucke wurden sorgfaltig auf ihren volligen Mangel an Aktualitat hin gepriift ; in Wien kann man heute keine Marq'ws-Posa-Szenen gebrauchen. Merkwiirdig, dass die grossartige Hochstapler- komOdie des grossten Satirikers der Deutschen, Johann Nestroy's, Gnade vor Goebbels fand. Vielleicht hat er die Satire gar nicht gemerkt.

Die Oper brachte ebenfalls vier Werke, von denen drei mit Italien zusammenhangen, vermutlich zu Ehren des einzigen auslandischen offiziellen Gastes, des italienischen Ministers fur Volkskultur. Handels " Julius Casar," Wagners " Tann- Unser " und zwei Strausse, Johann Strauss "Eine Nacht in Venedig " and Richard Strauss " Friedenstag." Letzterer, dessen Kiinsdertum seinem Namen alle Ehre mach[, durfte in Anwesenheit seines Fuhrers seinen 75. Geburtstag feiern.

Das alles war natiirlich grossartig aufgemacht, eine " schone Leich," wie der Wiener bei solchen Gelegenl-eiten zu sagen

pflegt. Alle Dirigenten, Regisseure, Schauspieler von Nam= waren angetreten. Alles funktionierte tadellos. Es war eine festliche Woche. Aber es war Theater, Theater. Man sah die Pappe und man roch den Leim. Und man hone den Goebbels. Den besten Witz aber machte die liebe " Frankfurter," die in ihrem Bericht von Bruckners S dur Symphonic pricht. Das ist naturlich Lin Druckfehler. Es muss entwedcr SA oder SS Symphonic heissen.

Eine "Nation," die ftir ihre grossten modcrnen Dramatiker, die Barlach, Brecht, Bruckner, Goring (Reinhard!), Jahnn, Kaiser, Sternheim, Toiler, Zuckmayer keinen " Lebensraum " hat, muss in die Vergangenheit fliichten und Klassiker spielen. Weil das Deutsche Drama sich im Dritten Reich abspielt, gibt es don kein deutsches Drama.