Konig und Kaiser
[Von einem deutschen Korrespondenten]
Air Weihnachtstage des vergangenen Jahres, als die Stimme des Konigs seinen " lieben Freunden in alien Teilen des Belches " freundliche Grasse sandte, gingen mein Gedanken zarlick zu dem Deutschland der Vorkriegszeit. Wie and( sprach Kaiser Wilhelm zu seinem Volk : seine Stimme war eine Fanfare, seine Rede von Ungeduld getrieben. Er sprach von Ehre, Maeht und Ruhm, und er fand klingenden Widerhall in einer Generation, die als erste gelernt hatte, sich an dent gefithrlichen Glanz grosser Worte zu berausehen. Die schlichte Herzlichkeit, die bfirgerliche Zufriedenheit der Deutschen des neunzehnten Jahrhunderts machte dem Drang nach Geltung und Erfolg Platz. Aber Kaiser Wilhelm war nur der Representant einer Zeit, in der die geistigen Fiihrer Deutschlands, in der Nietzsche und Wagner, Hegel und Treitschke das deutsche Volk im Eiltempo zur Grossmacht zu erziehen suchten.
Was wir an Konig Georg bewunderten, war die Rube und Einfachheit, die er in einer unsicher hastenden Umwelt aufrecht &Melt. In ihm sahen viele Deutsche das Abbild des inneren Friedens, den sic lfingst verloren hatten. Der Gegensatz zwischen Konig und Kaiser war derselbe, den jeder ethpfindet, wenn er aus Berlin nach London kommt.
Ich meine nicht den politischen Kontrast : es ist, als ob ein Schiff nach schwerem Sturni in den stillen Hafen einkehrt.
Hier gibt es noch Ruhe, Vertrauen und Zufriedenheit. Hier hat es die Frefiteit noeh leieht, zu leben. Und ant Weihnachts- tage, wie wahrend der Jubilaumsfeiern des letzten Jahres, konnte es jeder fiihlen, wie sehr Englands bewunderte Zufriedenheit in der Person des verstorbenen Kkinigs verankert war. " Sie werden es nicht verstehen," sagte mir ant Montag ein Zigarrenhandler in Westminster, " aber es ist, als wenn mein eigener Vater im Sterben lage."
Die Deutschen haben Konig Georg erst schiltzen gelernt, als sie nach dem Kriege die ganze Bitterkeit des Unfrieden;s
ausgekostet hatten. Wahrend Edward der Siebente, den man als Gegner Deutschlands betrachtete, oft and scharf kritisiert worden war, verstand man die aufrichtige Friedensliebe seines Sohnes zu wiirdigen. Der Besuch des englischen Konigspaares in Berlin im Jahre 1913 trug viel dazu bei, die fortschreitende Entfterndung zwischen den beiden Valkern aufzuhalten. Vielleicht war es damals scion zu spat, urn das Rad zurfick- zudrehen. Vielleicht war der Charakter des Kaisers schon zu sehr in der Richtung ausgebildet, die Gibbon als " The graver follies of fame and dominion" bezeichnet, um eine personliche Verstandigung maglich zu machen. Die Zusam- menkunft, die letzte der beiden Monarchen, blieb ohne nachhaltige Wirkung. Aber selbst die feindlichen Gefiihle, die der Krieg unvermeidlich ausliiste, machten vor der Person des Konigs Halt. Man sprach von ihm stets mit Zurfick- haltung, verstand seine schuierige Stellung, und bewunderte im StWen seine ruhige Wfirde in einer von Hass zerrissenen Welt.
Diese Haltung kam wahrend der Krankheit des Konigs im Winter 1928/29 unverkennbar sum Ausdruek. Die deutschen Zeitungen verfolgten den Verlauf der Krankheit mit einer sorgenvollen Anteilnahme, die kaum hinter der der englischen Offentlichkeit zurfickstand. Es 1st keine Uebertreibung, wenn man sagt, dass eine Zeitlang alle politischen Gedanken von dem Mitgeffihl fiir das englische Volk zuruckgedrangt wurden. Und in das menschliche Bedauern mischte sich vielleicht ein wenig Neid : wir beneideten England um einen Konig, dessert Schlichtheit es vor Abwegen and Experimenten bewahrte, der ihm fiber allen politischen Streit hinweg einen festen Mittelpunkt gab.
In den letzten Jahren hat Konig Georg die durch den Krieg abgerissenen Beziehungen zur Fanatic des ehemaligen Kaisers allmahlich wieder aufgenommen. Als der Kaiser erkrankte, erfuhr man, dam der Konig sich in Doom nach seine' Befinden erkundigt hatte. Die Mime des fraheren Kronprinzen wurden mehrmals helm Londoner Hof empfangen. Aber mit seinem sicheren Takt vermied der Konig jeden Schiitt, der diesen Beziehungen zu dem verwandten Hausa eine politische Wendung geben konnte. Er war freundlich zu den Enkelkindern seines glficklosen Vetters, wie er zu jedennann freundlich war. Er ilberwand das Gedachtrds des Krieges, well der Frieden seine zweite Natur geworden war,
R. F.