3 APRIL 1936, Page 17

Niemandsland im Friihling

[Von einem deutschen Korrespondenten]

JETZT ist das ganze Rheinland ein einziger bliihender Garten. Von Enunerich im Norden, der Grenzstadt gegen die Nieder- lande, bisnach Lorrach im Siiden, der Crenze gegen die Schweiz. 1st das ganze gesegnete Land ein grosses Bliitenwunder. Besonders die Bergstrasse, jene jahrhundertealte Heerstrasse zwischen Darmstadt and Heidelberg, jetzt durelt

Autobahn wie mit dens Lineal durchschnitten, zeigt in diesel Tagen ihr buntestes Frahlingskleid. Krokusse, Primeln und Sehneeglockehen Witten in den schattigen Nadelwiildern. Kastanie, Kirsche, Mandelbaum, Pfirsich, Stechpalnme und anderes mehr vereinigen sich zu einer farbenpraelitigen und duftenden Frahlings-Symphonie. Alte vertruute Stadtnamen wie Auerbach, Bickenbach, Halinlein, Malehen 'assert uns den Zauber vertriiumter mid stiller Jahrhunderte wieder erstelien. Bensheirn, Heppenheim und Zwingenberg waren stattliche Marktplatze, nahe von ihnen die .beriihnite Odenwaldsehttle, wo der Rilbezahl des Odenwalds, Paul Gelteeb lehrte.

Steigen wir von den Bergen hernieder in die weitc und !welt° Rheinebene, so gelangen wir von den Matzen alter Romantik in den dichtesten Industrie-Verkehr der Modern. Frankfurt, Mainz, Mannheim, Ludwigshafen sind heute grosse Inter- nationale Umladestellen geworden. Wo Goethe, Schiller mitt Buchner weilten, schrillen die Hupen, Simnel). und Schiffs- pfeifen des rasenden hetzenden Verkehres. Aber weiter sadwarts, in der Halle von Karlsruhe etwa, beginnt wieder das Idyll. Hier, wo linksrheinisch (lie fransiisisehe Grosse Minch des Saargebietes bis- an den Rhein vorstasst, herrseht math iii den Tagen griisster politiseher Spannung der Frieder caw stillen Friihlingsgartens. Links die Vogesen, der alte Was- genwald, reehts der Schwarzwald, und in der Mitten : ruing fliesst der Rhein. Er fiiesst durch Niemandsland. Die Grenzstadte Kehl und Breisach auf deutscher Seite.eritielten bei der Rheinlandbesetzung dwelt die Reichswehr Wino Garnisonen. Das war vielleicht ein besonders geschiekter and weiser Schachzug deutscher Regie, dens es Witten sielt' kurz und tang vielleieht doch unvoritergesehene Reibungen mit den franzosisehen Garnisonen ergeben, die hier in einer Entfernung von kaum zwei Steirtwarfen untergebraelit sind.

Appenweiler, ein kleines Stiidtchen zwischen Baden-Baden und Offenburg, 1st cin wichtiger Eisenbalinknotenpunkl. Von hier zwcigt die Bahn ab, die nach eistigen Minutest bei Kehl den Rhein erreieht, um in wenigen Augenblieken ram jenseitigen Rheinufer das ehrwiirdige Strassburg zu crrcieLe i. Kehl, dessen schiinste Bliitenbasune auf der " Kommissions- inset " bliihen, ist trots seiner Eigensehaft als Tor nach deny Weston ein stilles nettes Stadtehen. Mit seinen 12.000 Einwohnern 1st es gegeniiber dem 167.000 Mensehen ziililenden Strassburg beinahe ein Dorf. Aber der Hafenverkehr mit einer Umsatzziffer von zwei Millionen Tonnen hat diesem Ort doch eine gewisse Bedeutung verschafft. Als ins Jaime 10341 die letzten Franzosen melt Zerstorung der Festungswerke Kehl verliessen, wurde Kehl ein starker Stiitzpunkt der Nazi-Organisation, die !tier eben soviet Mitglieder atilt wie das zehnmal griissere Mannheim. Aber trots l'artei, Fes- tungstradition und Franzosennithe ist das Stadtelien Kehl heute im Glanze der Frahlingssomic ein grosser lebender Blumenstrauss, der von Bliite stn:! Frucht und nicht vo:" Tod und Untergang traumt.

Einige Dutzend Meilen weiter siidliels wiilbt sick eine andere Rheinbriicke Ober Niemandsland. Es ist die beriillinte Schiffsbriicke zwischen Breisach auf deutscher und Neu- Breisach auf franzosiseher Smite. Breisaeli. ein Stadtelten cu r dreitausend Einwohnern, licgt im Sellat ten des Kaiserstuldi imd des Freiburger Miinsters. Netibreisach, etwas grosser, liegt etwas landeinwarts ; his zu der griisseren Stadt Colmar. die den einzigartigen Griinewald-Altar birgt. sind es nozh etwazehn Meilen. Frillier war Breisach der Briiekenkopf fiir die befestigte Rheinbriicke. Heute ist es ein stilles Nest mit iiLer dreissig Wirtshiiusem, zwanzig weniger als vor dem Krieg • Wer guten Rheinwein trinken will, und dazu den Friildin., bliihen schen, der • milge an den ewigen herrliehen Muss ziehen. Nicht dort, wo cr (lurch Freintlenverkehr and Kitsch- romantik entstellt wird, sondern eben da, wo die Jahrhun- derte still zu stehcn sehcinen.

Friihling in Niemanrbdand ! Einen sch6neren findst