ZEITUNGSSTERBEN
[Von einem deutschen Korrespondenten]
DER lange Frost hat im deutschen Blatterwa:de schon vie Opfer gefordert. Von den dreitausend Zeitungen and Zee schriften, die das Dritte Reich von einen Kulturstaa iibernahm, diirfte heute kaum noch ein Drittel existieree, wenn man dieses traurige Dahinvegetieren der heute von Goebbels' Gnaden noch erlaubten Presse ilberhaupt noch Existenz nennen will. Der Sauherdenton einer unsaglichen Drei-Einfaltigkeit, " Volkischer Beobachter," " Schwarz Korps," " Stiirmer " macht die Musik. Die Klange stammen aus jenem langst verschollenen " Miesbacher Anzeiger," der in die Journalistik zum ersten Mal statt Feder and Schreih- maschine die Mistgabel eingefiihrt hatte und der in 'angst .vergangenen Zeiten in seiner Mischung von Stupidital und Brutalitat eine Quelle ungetriibter Heiterkeit war. Heutc sieht es so aus, als ob alle Kulis von Goebbels aus diesem Miesbach stammen, eingeschlossen jene drei oder vier Journalisten, die im Dritten Reich noch schreiben durfen.
"Fallen seh ich Zweig auf Zweige," klagt •Grillparzer, Ahnfrau prophetisch vor dem endgiiltigen Zusammenbruch des stolzen Schlosses. Nicht nur die Blatter und die Zweige sind gefallen, auch die Stamme sind morsch und bis in den Kern verfault. Eire so ungesundes und krankes Wirtschafts- system wie der von Schacht verlassene Triimmerhaufen kann schon lange nicht mehr die Kraft zu kulturellen Leistungen 'aufbringen. Und zur Herausgabe einer Zeitung ist schliesslich sogar im Dritten Reich mehr notwendig als eine skrupellose S.S.-Gruppe uniformierter Befehlempfanger, als welche heute die deutschen Journalisten zur Stelle sein milssen. " Wenn ich das Wort Kultur bore, entsichere ich meinen Revolver," sagte eine Kreatur des Prasidenten der Reichsschrifttumskammer. Aber mit entsichertem Revolver kann man kaum eine Zeitung schreiben.
Sie sind alle den Weg von Lumpen gegangen, jene Lumpen, aus denen man bekanntlic.h Papier macht, jene Lumpen, zu denen-wieder Papier wird. In diesem Zirkulationsprozess der Lumperei haben die Zeitungen den Kiirzeren gezogen, da man jetzt aus Lumpen vornehmlich Kieider, beziehungsweise Uniformen macht. Es kommt auf die Uniform an, und auf die Lumpen, aus denen man sie macht. So gerieten die Zeitungen miter das Rad der Weltgeschichte. Wir weinen ihnen keine Tranen nach, aber sie hatten ein besseres Ende verdient.
Zuerst begann das Zeitungssterben im " Altreich." Die Blatter der " Linken " wurden mit Brachialgewalt zerstart, " Rote Fahne," " Vorwarts," " Welt am Abend waren die ersten. Es folgten dann die Matter der Mitte mid der Rechten, " Deutsche Zeitung," " Morgenpost," " Borsen-Courier," " Preussische Kreuzzeitung," " Germania," " Deutsche Tages- zeitung," " Vossische Zeitung," " Berliner Volkszeitung," von den oft sehr anstandigen Blattem der Provinz zu schweigen. Urn im Ausland noch den Anchein einer gewissen Kulterver- bundenheit zu erwecken, liess man das " Berliner Tagelalatt " und die " Frankfurter Zeitung " und in ihnen ein paar dqrthin abkommandierte " Kulturarier " noch erscheinen; nun. lasst man auch das'" Tageblatt " eingehen. Nur die " Frankftirter," das von dem Juden Sonnemann gegrundete und von dem I.G.- Farben-Trust- ausgehaltene ehemalige Weltblatt zeugt als geborstene Sallie von verschwundener Pracht. . . .
Das Zeitungssterben griff auch auf die jiingste Nazi-Kolonie fiber und erdrosselte die " Prager Presse," ein sauberes Blatt, das die Tradition des letzten Europaers hochhielt.
Jetzt hat die Pleite auch Oesterreich ergriffen. Das in der Welt am besten bekannte Blatt deutscher Sprache, die " Neue Freie Presse " ist mehr oder weniger sanft entsrhlafen. Mit ihr, die 1864 von Bach, Etienne, Friedlander aus der " Presse " entstand und mit der Dynastie Benedikt ein pollweric des kontinentalen Liberalismus, mit allen Vorziigen und Fehkrn, wurde, verschwindet wohl das letzte Kapitel jenes Werkes, das wir einst " Oesterreich " nannten. Die " Nene Freie Presse" hat den 'Tod ihres einzigen grossen Gegnerst Karl Kraus und seiner " Fackel " nur urn zwei Jahre iiberlebt. Mit ihr starb das " Neue Wiener Journal," ein monarchistisches Sensationsblatt, dessen Herausgeber Selbstmord veriibte. Tod sind die alien Rivalen " Arbeiterzeitung " und " Reichspost " und alle anderen Blatter, die Habsburgs Gluck und Qester- reichs Ende sahen.
Der Rest ist Schvveigen. Und nie war Hamlets lever Seufzer wahrer als in der Spannung vor Fortinbras'