1 NOVEMBER 1935, Page 15

Burschenherrlichkeit

[Von einem Deutschen Korrespondenten} " 0 Avrr. Burschenherrlichkeit, wohin bist du verschwundem' nic kehrst do wieder, schone Zeit, so frei und ungebunden • ." So sangen die deutschen Studenten vor hundert Jahren, als die Burschenschaften riaeh vierjahrigem Bestand von der Reakt ion aufgelOst wurden. Im Jahre 1815, knapp naeli den Freiheitskriegen, waren die Burschenschaftcn zur Hebung der wissensehaftlichen und patriotischen Gesinnung von Studenten in Jena gegriindet worden. Auf dean Wartburgfest am Jahres- tag der Leipziger Vtilkerschlacht, am 18. Oktober 1817, vcreinig-ten sick die einzelnen Universitats-Verbindungen zur Allgemeinen Deutschen Burschenschaft ; ihre Farben waren Schwarz-Rot-Gold. Als diese dann 1819 verboten wurden, angeblieh wegen der Ermordung des russischen• Polizeispitzel Kotzebue durch den Studenten Sand, arbeiteten die Studenten- Verbiinde insgeheim welter, bis sic an der Revolution von 1848 tatkraftig Anteil nahmen.

Diese historische Parallele zwischen dem Vormarz und unserer Zeit ist nicht unbegriindet. Denn heute wie damals kain der Konllikt aus der Unvereinbarkeit der akademischen Frefficit mit der staatlichen Gewaltspolitik. Es besteht nur ein kleiner, aber nicht unwesentlicher Unterschied. Damals wurden alle Studenten-Vereine zwangsweise aufgeltist ; heute losten sic sick " freiwillig " auf. Wie diese Freiwilligkeit aber aussieht, dafiir einige Beispiele, die far die Taktik des Dritten Reiches Ewell far eine splitere Zukunft erinnernswert bleiben.

Das Masiensterben alter akademischen Verbindungen und Vereinc, das seit einigen Wochen in Deutschland eingesetzt hatte, fegte die merkwfirdigsten Gewachse von den Bitumen der Universitaten. Wir erfuhren da mit Erstaunen, was es noch alles gab.

Die deutsche Landsmannsehaft, die dreitausencl Lands- mannsehaften vertrat, Piste sich in Koburg auf. Die deutsche Sangersehaft, Verband der waffenfiihrenden and farbentragen- den Sangersehaften an deutschen Hochschulen, nalun dasselbe an sick in Leipzig vor. Der deutsche Wissensehafter-Verband tat dasselbe in Berlin. Der Allgemeine Deutsche Waffenring Piste sick im Einvernehmen mit den Waffenstudenten-Verban- den ebenfalls auf. Da konnte smelt das Gottinger Corps Bremensia, das seit 125 Jahren bestand, nicht zurfickstehen. In der Aufklarungs-Erkliirung sagt das Corps in tragikomiseher Selbstpersiflierung : "Das Corps-Studententum ist seit Monaten heftigen Angriffen ausgesetzt gewesen. Wir sind uns bewusst dass kein Vorwurf auf die Bremensia zutrifft. Das enthebt uns nicht der Erkenntnis, dass ffir ein Weiterbestchen unserer Bremensia unter diesen Umstanden keine Mtiglichkeit mehr gegeben ist." Selbsterkenntnis als erster Schritt zur Selbst antilisung So war die Hahn frei gemacht fiir das grosse Spektakel- Stuck, das letztc Wartburgfest. Auf der Wartburg, nahe Eisenach in den Thfiringer Bergen, traten die dreitausend letzten deutschen Burschenschafter zusammen. Sie sangen, urn five Auflosung musikalisch vorwegzunehmen, das erste Bundeslied : " Sind wir vercint zur. guten Stunde." Dann sprach der Rektor der Universitat Jena, welche die Urbur- schenschaftsfahne seit 120 Jahren als Heiligtum bewahrt hatte. Hierauf verlas der Bundesfiffirer eine Kundgebung, worm sick die Burschenschaft getreu dem Vermachtnis der Urbursehensehaft riikhaltslos ruin Geist tier nationalsozialist- ischen Revolution bekennt. Darum stellen rich die akt.iven Burschenschaften dem natsoz. Studentenbund zur Veda- ping, damit dieser die Tradition der rrbursehenschaft zu treuen Minden ilbernehme. Hierauf warden die Fahnen in den Rittersaal der Wartburg gebracia, walirend die Musik Herrn Hitler's Lieblingsstfick, den Badenweiler Marsch, blies. Nun kam der feierliche. Augenblick : Die Burseltenschafter senktcn die Fahnen, legten Hande mid Miitze ab und die Urburschenschaftsfahne wurde dem Leiter des Nazi-Studenten- bundes tibergeben, der versprach, sic stets in Ehren zu halten.

Damit sind die deutschen Studenten anal offiziell, aluilich wie der Stahihelm vor einem Jahr, Nazi gcworden, Man kaun fiber das damit verbundene Theater vielleieht lachein. Aber mit dieser Tat ist ein weiterer wichtiger Schritt in der Umwand- lung der dentschen Hochschulen zu rnilitiirisch geleiteten